Reden und Texte

Projekt Säntis_Ausschnitte. Roman, ca. 420 Seiten. Unveröffentlicht


Kathrin Mercier kommt aus dem Gebäude, nähert sich Leon, befreit ihn von den Bildern im Kopf. Bilder, welche ihn wie Videoclips aus mehreren Monitoren zugleich überfluten. "Es wird Zeit, die Leute warten." Leon geht nicht gleich mit, will sie zum Hinaufschauen bewegen. "Da, bitte, sehen sie! Es zeigt sich sehr plastisch. Stellen sie sich vor..." Dort! … über der Mauer, wo der Berg sich gerade wieder neu aus den Wolkengebilden schält. Sie will nichts davon wissen, noch nicht einmal in die Richtung schauen. Geht vorweg, zurück zum Gebäude. Leon folgt ihr, immer ein Schritt hinter her, sie rennt jetzt fast, er schafft es nicht neben ihr zu gehen. „Dieser Berg ist völlig überbewertet. Es gibt in der Schweiz mehr als vierzig Berge die höher als viertausend Meter hoch sind. Aber in der östlichen Hemisphäre reden alle nur über dieses Berglein.“ Sie hört nicht zu. Rent. „Wenn sie einmal annehmen, die Alpen würden eine Stadt sein, der Säntis und der Alpstein wären höchstens Vororte. Örlikon, Winkeln oder so. Ist nur eben so, wenn sie eine Umfrage machen würden, welcher Berg kommt ihnen als erstes in den Sinn. Da bekäme der Säntis am meisten Stimmen. Eine Umfrage in der Schweiz meine ich. In China wären es vielleicht Matterhorn oder Jungfraujoch. Aber in der Schweiz wäre es der Säntis! Weil es am meisten Zürcher gibt. Die haben diesen Säntis direkt vor der Nase, die müssen gar nicht lange nachdenken. Wenn der ein bisschen Schnee drauf hat, merken die Zürcher, es ist Winter und dann fahren sie mit ihren SUVs? dran vorbei nach Arosa oder so. Für das haben sie diese Karossen schliesslich. Aber was ich eigentlich meine, der Säntis ist letztlich nur so eine Werbeeinrichtung der Tourismusbranche (Wintersport). „Oh, Schnee, es ist Winter!“ Dauert die Erderwärmung an, wird dieser Säntis dereinst mit weissen Tüchern abgedeckt, damit die Zürcher merken, es ist Winter.“

Hastend durch das Gedanken verwirrende Labyrinth der Gänge. Sie gelangen in das Besprechungszimmer von Professor, Doktor Breitenmoser, Direktor der Institution.

Herr Kalter, ist ihnen klar, wo sie hier sind? Leon presst die Lippen leicht zusammen, Mundwinkel nach unten und hebt die Hand vor's Gesicht. Schweigt weiter. Der Direktor sagt, wieder mit diesem leichten Nachdruck, zugleich aber mit der Absicht, so weit wie möglich nicht bedrohlich zu wirken: „Herr Kalter, sie sind hier in der Psychiatrischen Klinik Herisau ... seit drei Wochen.“ "Ja, weiss ich ... was soll ich dazu sagen." " Sie sollen nichts dazu sagen, ich möchte dahingehend wirken, dass wir über ihr Sein hier bei uns, über ihr Befinden, über ihren Zustand nachdenken.“ „Gut, ich bin hier in Behandlung, so, wie mir bekanntlich bekundet wurde, weil ich unter „burn out“ leide.“ „Das wäre an sich noch kein Grund um hier zu sein.“ „Dummerweise habe ich einem Krankenwagenfahrer eine Ohrfeige gegeben ...“ Längeres Schweigen und ein undefinierbarer Blick des Psychiaters. „ ... weil er so saublöd dahergeplappert hat, als er mich abholen sollte. Ich hatte bekanntlich eine Herzschwäche erlitten. Er sollte mich ins Krankenhaus bringen. Er hat einfach saudumm dahergeredet. Meine Nerven waren nicht im besten Zustand. Verständlich, denke ich. Ich hasse diese Art der Formulierung: Es ist für uns besser, wenn wir uns ein bisschen beruhigen, Herr Kalter, bevor wir noch irgend eine Dummheit machen, nicht wahr. So hat er mit mir geredet, wie mit einem Kleinkind. Ich hasse es, wenn ich als „wir“ angesprochen werde.“ Leon hat gar nicht wahrgenommen, dass er sich darüber gerade eben schon einmal aufgeregt hat. Als der Professor so mit ihm redete: „ ... da wollen wir gemeinsam daran arbeiten ...“ „Sie haben den zweiten Fahrer auch attackiert.“ „Er hat mich attackiert.“ „Er sie? Das ist mir neu.“ „Er kam von hinten. Hat mich in den Schwitzkasten genommen, sagt man dazu. Hat mich umklammert. Können sie sich das bildlich vorstellen, Professor? Meine Arme hängen runter. Ich kann sie nicht hoch nehmen. Kaum bewegen. Für den Fall hatte ich mir immer schon eine Taktik zurecht gelegt. Kommt einer von Hinten, fasse ich dem Typen in den Schritt und quetsche seine Dingsda, Eier. Legitim, oder? Wenn man sich wehren muss.“ „Sie müssen sich sicher nicht gegen einen Krankenwagenfahrer wehren.“ „Wie weiss ich, dass es ein Krankenwagenfahrer ist, wenn er von hinten kommt?“

Schweigen.

„Mussten sie sich schon öfters derart verteidigen?“ Breitenmoser betont das „verteidigen“ gewollt etwas provokativ. „Ich hatte nie die Gelegenheit. Ich hätte sie hin und wieder aber schon gerne gehabt. Irgendwann so einem Arsch die Eier quetschen ... leider kommt mir das immer erst in den Sinn, wenn es zu spät ist.“ „Ausser dieses Mal.“ Breitenmoser hebt den Kopf. Fixiert Leon. Öffnet die Augen weit. Quasi die Frage: Und sonst so? Wann zum Beispiel? Welches wäre so eine Gelegenheit, um sich zu beweisen, wie sie sagen? Leon schweigt. Achselzucken. „Gab es je eine andere Gelegenheit?“ „Nein. Aber wenn mir jemand irgend so eine Schweinerei erzählt. Oder wenn ich so etwas in der Zeitung lese. Wenn irgend so ein Typ eine Frau bedroht. Oder einen Mann, egal, weiss ich, irgend wer. Auf alle Fälle gehe ich hin, misch mich ein, er will mir eine schmieren oder kommt mit dem Messer und dann fass ich ihm da hin, wo`s weh tut. Punkt. Ich quetsche. Er geht in die Knie, damit kann man rechnen, vorausgesetzt, man kriegt die Eier richtig in den Griff. Dann nehme ich seinen Arm und kugle ihn aus. Ausser Gefecht. Tut gut. Ist Fantasie ... für den Notfall. Ist leider nie passiert.“ „Leider?“ „Eine Hauptprobe wäre nützlich. So ist man immer in der Situation, nicht zu wissen, würde ich es tun. Und wenn, ob es funktioniert. Hat der Typ überhaupt Eier ... ich meine physisch? Psychisch sind das doch Eunuchen. Die schlagen doch gerade so leicht zu, weil sie die psychische Versehrtheit überspielen müssen. Wenn man das mit dem Intellekt klären möchte, was einem doch eigentlich näher liegt, kriegt man auf die Schnauze. Also muss man gewappnet sein, um sich wehren zu können. Physisch.“ Breitenmoser atmet hörbar tief ein.. Für Leon wieder so eine typisch therapeutische Reaktion. Was jener über das Thema denkt, wie er in so einem Fall handeln würde, steht nicht zur Debatte. Er sitzt da nicht als Mensch, sondern als Therapeut. Als solcher bemüht er sein schulisches Repertoire: „Ja, es ist durchaus legitim, über die Selbstverteidigung nachzudenken. Wobei man sich da fragen kann, ob man nicht Gefahr läuft, vom Affekt übertölpelt zu werden. Ich meine, Herr Kalter, sie wissen doch, dass sich Realität und Fantasie stringent unterscheiden. Wie sie sagen, es fehlt die reale Erfahrung. Vielleicht wäre eine Kampfsportart angebracht. Ich würde es einmal so formulieren. Es wäre berechenbarer. Aber wie sie schon sagten, einen realen Anlass zur Verteidigung gab es eigentlich gar nie. Ausser in ihrer Fantasie ... eben, ihre Fantasie. Das ist ja unser Knackpunkt.

Er führt sich auf, als ob er der liebe Gott wäre … … „Excuse, lassen sie mich da durch, bitte!" Leon wäre leicht gewillt, die Person, die da vor ihm steht, handgreiflich zur Seite zu schieben. Die Bertschi! Macht, kraft des Anblicks ihrer Körperfülle, den Weg unpassierbar. Steht da wie eine Letzimauer. Die Habsburger sind an der Letzimauer der Eidgenossen gescheitert. Heisst es, damals 1315, am Morgarten. So steht sie da, diese Bertschi, als lebende Talsperre. Die schiebt niemand so leicht weg. Die Heilige Johanna … unter der Hand wird sie so genannt … fehlt mir gerade noch. "Wie soll ich wissen, wer der liebe Gott ist?" Fragt sie schnippisch. "Können sie Gedanken lesen, oder ...?" "Heilige können Gedanken lesen, vor allem wenn sie laut genug gedacht werden." "Laut gedacht .. geredet ... hab ich ... ? Und nach einer kurzen Rekapitulation, Leons perplexe Nachfrage: „Heilig, öhh, ähm, sie wissen um ihre Heiligkeit." "Hää? Ihr meint alle ich merk' gar nichts, ich bin ein bisschen plemplem, gell, denkt ihr, oder, das meint ihr doch ...“ kurze Pause ohne zu atmen: „wie soll ich wissen, wer der liebe Gott ist, ich weiss nicht einmal wo der ist ... vielleicht da oben, dieser aufgeblasene ... der Guru (in späteren Zeiten wird sich sagen lassen, wen sie in diesem Haus als Guru tituliert), vielleicht … aber eigentlich ist Gott ... der ist nicht so selbstgefällig ... wenn's ihn gibt ... und dem kriecht auch niemand in den Arsch ..." Die Kurzatmigkeit der Dicken stoppt den Redeschwall. Leon hat das, mit dem da hineinkriechen, sehr wohl als Seitenhieb wahrgenommen, er hätte sich vielleicht verteidigt, aber da läuft sie krebsrot an … hustet (was leicht als Selbstverteidigung ausgelegt werden kann. Die Farbe ändern wie ein Chamäleon). "Excuse." Leon drückt sich an ihr vorbei, was trotz allem sich äusserst dünn machen zu massigem Körperkontakt führt. Eindeutig eine Frau! Diese Diskrepanz. Ich werde Annja das Gefühl ausgiebig beschreiben. Was ich körperlich gespürt habe, so weich, sie drehte sich frontal zu mir, ganz zwangsläufig streifte ich ihre Brüste ... diese Diskrepanz. Sie wird toben vor Wut. Sie. Ich meine Annja, wenn ich es ihr erzähle! Oder vor Wolllust geifern. Das sexgeile Biest ...

Beim Betreten der Cafeteria sagt Leon zu Annja: „Das hast du doch schon einmal erzählt. Was soll das, die Mercier spioniert herum, was hat sie davon?" "Fragt alle aus." "Hmm?" "Über dich!" "Und was hast du ihr erzählt?" "Dass du mich na ja ... bumsfallera ... vögelst eben … perverser Typ … so, im Keller ... unter der Spitzendecke …" "Du weisst, was dich erwarten würde, wenn du denn je so etwas heraus posaunen solltest! Ohne Kopf fliegen Hühner nicht mehr weit!" Annja kichert, hebt die Hände auf Brusthöhe, bewegt die angewinkelten Arme auf und ab. Wie Flügel. Die roten Haare. Die weisse Bluse mit den aufgeplusterten Ärmeln. Die langen Fingernägel. Und kräht wie ein Huhn. : "Ghahack, gagaahck ..." Märie, im Service tätige Frau (Geschirr wegräumen) mit gewissen wahrnehmungsstörungsbedingten Schwächen, welche sie mit Vorliebe mit exaltierter Handlung kaschiert, hat das genau beobachtet. Annja ist für sie eine Reizfigur, wann immer sich die Gelegenheit bietet, entledigt sie sich der Contenance, und läuft eine Art Psychoamok, alle Folgen ignorierend. Sie gackert sich gedankenlos um ihren Job. Blieb Annjas Vogeltanz noch weitgehend unbeachtet, kopiert sie diesen jetzt so schräg und laut, egal was daraus wird, auch die weit entfernt Sitzenden erreichend. "Ghahack, gagaahck.“ Schlägt mit den Flügeln und kräht mindestens so gekonnt wie Annja: „Ghahack, es gibt kein Poulet heute, das dumme Huhn will sich nicht metzgen lassen ..." starrt dabei Annja an und grunzt gleich in ebenso läppischer Weise wie ein Ferkel: "Chrr ... Schweinsragout bitte, Gemüse und Kartoffeln, chrr …“

Leon platziert die Nachricht in den jeweiligen Postfächern und geht dann Richtung Ausgang. Was für ein Irrsinn. Was für eine Sinnlosigkeit. Das Material, auf herkömmliche Lastwagen (Länge ca 8 Meter) verladen, ergäben diese eine Kolonne, welche am Äquator 50 000 mal um die Erde führt. Ich bin wohl verrückt, wenn ich mir so Zeug ausdenke. Aber warum lässt sich so ein Typ wie dieser Koller dazu herab, diese Rechnung überhaupt anzustellen? Will er auf hinterhältige Weise ausdrücken, ich sei verrückt? Ich muss irgendwo hingehen. Einfach nur gehen. Bis ich müde bin. Bis ich beinahe zusammenbreche. Und wenn ich dann nicht irgendwo im Wald, auf einem Schneefeld, auf einer Bergkuppe erfrieren will, muss ich zurück. Muss es zurückschaffen, um mein Leben zu retten. Da liegt wenigstens ein Hauch Sinn drin: Nicht krepieren. Und überhaupt, wie soll ich denn erfrieren. Wo‘s gar nicht Winter ist. Ich habe wohl an Robert Walser gedacht. Er sei zwar nicht erfroren sondern an Herzversagen gestorben. Macht es einen Unterschied. Und vielleicht kam es ihm sogar gelegen.

Im Haupteingang kommt Leon Stefanie Graber entgegen. Sie wird mich gleich fragen wie‘s mir geht. „Hallo Leon, Wie geht es dir?“ „Naja, kommt drauf an, wie man‘s bewertet.“ „Auf einer Skala von 1 bis 10?“ „Eins bis 10? Etwa 3, ja etwa 3.“ „Das ist gut. Das ist fast sehr gut. 1 ist schlecht. 2 ist besser. Besser ist gut. Mehr soll man auch gar nicht erwarten. Gehst du aus?“ „Die Füsse vertreten, so zu sagen, zum Nachdenken. Ein Spaziergang ist gut zum Nachdenken. Aber frag mich jetzt nicht worüber.“ „Nein, wenn du das wüstest, müsstest du schliesslich gar nicht darüber nachdenken.“ „Ja, das stimmt. Stimmt eigentlich ja. Über etwas, was ich schon weiss nachdenken, ist wiederkäuen. Aber ich kann dir versichern, ich habe keine Ahnung über was ich nachdenken werde. Falls es mir unterwegs in den Sinn kommt, werde ich es dir nachher erzählen.“ „Ich wünsche dir jedenfalls Glück dabei.“ „Ja … Glück ist schon etwas viel verlangt. Mir reicht es vorerst, wenn mir überhaupt etwas in den Sinn kommt ... 50 000 mal um die Erde. Das ist sinnlos.“ „Kommt drauf an ...“ „Ich erkläre es dir Morgen, oder ein andermal.“ Bernd und Edith haben gesagt, sie könnte etwas zur Diskussion beitragen. Überraschungen gibt es. Aber was wäre das denn? Leon hat in diesem Moment keine Lust nachzufragen.

Und es müssen 42 727 Gebäude abgebaut und wieder neu aufgebaut werden. Neuwertversicherungsumfang: 22‘273‘138‘000.00 Schweizerfranken. Bei einem mittleren Wert von 521‘000.- Franken pro Gebäude. Und das sind Zahlen, welche den Abbau vom Säntis betreffen. Dabei ziehen wir schon mehr und mehr in Erwägung, den Säntis stehen zu lassen. Es gibt diverse Gründe dafür, statt dessen das ganze Alpsteingebiet zu planieren. Was wahrscheinlich, hinsichtlich dem Ab - und Aufbau von Gebäuden, zu einem Mehraufwand führen würde.

Leon geht Richtung Egg. Kommt irgendwann am Restaurant Rechberg vorbei, kehrt aber nicht ein. Das Ambiente ist verlockend. Der Apfelmostduft scheint geradezu in der Luft zu liegen. Die Aussicht ist gewaltig. Aber diese Gedanken. Fünfzigtausend Mal um den Äquator. Sinnlos. Vielleicht ehrlich sein. Sich nicht über Stefanie ärgern, weil sie nur belangloses Zeug redet, oder sogar dummes Zeug. Denke ich nicht auch dummes Zeug? Aber wer ist überhaupt befugt, zu urteilen, was belanglos ist. Ist genau so beim Denken. Wenn du keine sinnvollen Gedanken hast, musst du dir welche machen. Und da denkst du, so beim dir Gedanken machen: Ja, das ist ok, scheint sinnvoll. Und dann steckst du mittendrin und stellst fest: Idiotisch. 50’000 mal um die Erde. Aber Morgen stehst du da vor den Leuten und sie schauen dich an. Eine Lastwagenkolonne, so und soviel Mal um die Erde und den ganzen Dreck kippen wir ins Rheintal. Hat der Koller ausgerechnet. Wenn wir in Österreich und Lichtenstein die Rheintalgebiete auch mit auffüllen, liegt das ganze Gebiet nachher etwa 24 Meter höher. Es gibt ja Stimmen, die sagen, es würde nicht schaden, wenn das Niveau im Rheintal etwas höher wäre. Das ist nur gehässig. Und vielleicht könnten wir den Rhein über den Walensee umleiten, meint Koller. So könnte man den Bodensee auch mit Dreck auffüllen, wenigstens teilweise ... aber das würde er wiederum sehr in Frage stellen. Alleine schon wegen der Deutschen. Die könnten aggressiv werden. Dann sind die unberechenbar. Und die Österreicher würden sowieso denen helfen. Vor allem die Vorarlberger, weil wir die damals nicht als Kanton wollten.

Die Gedanken lockern sich auf, wenn man so vor sich her spaziert. Es hat sein Gutes, dabei alleine zu sein. Kommt dir irgendwer entgegen, freust du dich. Nicht eigentlich, weil du jemanden triffst. Nein weil du freundlich guten Tag sagen kannst, und dann bist du wieder alleine. Manchmal, nicht oft, aber manchmal, geht jemand vor dir. Frau oder Mann, ist nicht von Belang. Schwierig wird die Situation, wenn du ein Quäntchen schneller gehst. Nicht schnell genug, um wie beim Entgegenkommen nur Zeit zu haben, um zu grüssen. Es ist in solchen Fällen unpassend, nur ein bisschen schneller zu gehen. Weil du plötzlich neben der Person gehst, und es dann halt doch auf ein Austausch von unvermeidbaren Worten hinausläuft. Was nun heute genau so ist. Gerade in dem Fall, wo ich die Einsamkeit besonders nötig habe ... naja, wann habe ich sie nicht nötig? Und der Herr da vorne bleibt jetzt, nicht ersichtlich warum, zu allem Übel auch noch stehen. Er muss eventuell einmal durchatmen. Er hat vielleicht eine Blume oder einen Schmetterling entdeckt. Ich sehe ihn nicht das erste Mal. Es hat mich schon interessiert, wo er herkommt und was er für einer ist. Mit Hut, etwas antiquiert, auch der Schnauz. Und die Hose, diesen Stoff sieht man heute höchstens noch bei einem Bauern. Und dies nicht etwa am Sonntag, beim in die Kirche, oder ins Restaurant gehen. Nein die tragen so etwas beim Arbeiten, man sagt dem, sie tragen es aus. Den Sonntagsanzug austragen. Heute relaxen die modernen Bauern am Sonntag wie die anderen Menschen. In Jeans. Nichts ist mehr wie früher. Manchmal ist es sogar der Konfirmandenanzug (den sie beim Arbeiten austragen). Natürlich nur im Ausserrhodischen. Im Innerrhodischen ist man katholisch. Die haben keinen Konfirmandenanzug. Sonntags- oder Konfirmandenanzug, zum Arbeiten taugt das Zeug noch lange. Wenn er noch länger stehen bleibt, muss ich ihn überholen. In solchen Situationen wird Leon leicht etwas muff: Muss der da vorne unbedingt trödeln. Hat der womöglich die Absicht, mich in ein Gespräch zu verwickeln. Ich hab ihn schon öfters gesehen. Er mich somit auch. Wenn‘s bös kommt, will der mich ausfragen. Was bleibt noch übrig, ausser guten Tag zu sagen. „Manchmal passiert‘s, da ist plötzlich so ein Steinchen im Schuh. Man will den Spaziergang nicht unnötig unterbrechen, weil dies auch die Gedanken unterbricht. Ob diese nun sinnvoll sind oder nicht, steht nicht zur Debatte. Man hat am Ende keine Wahl. Der Stein drückt. Und man muss ja dann auch guten Tag sagen.“ „Grüezi, ja, sie treffen den Nagel auf den Kopf. Da bin ich dann auch etwas unleidlich, gebe ich zu.“ Der mit dem Hut und dem Schnauz, in der ältlichen Hose, schaut Leon an, nickt. Nur ganz leicht, sonst fiele vielleicht der Hut vom Kopf. Er scheint etwas zu klein. „Wie wohl ich doch auch gerne grüsse. Und es interessiert mich durchaus, wen ich hinter mir habe. Wenn das Malheur denn schon einmal passiert ist. Der Gedankenfluss sowieso unterbrochen. Wegen so einem Steinchen im Schuh.“ „Der Stein des Anstosses ...“ „Ja, ja.“ Leon möchte sich auf die Zunge beissen. Stein des Anstosses. Was für eine Plattitüde. Ich bin nicht geeignet für smalltalk. Haha, wer weiss das noch nicht? „Nehmen wir ihn halt raus ...“ Und als ob der Stein im Schuh etwas damit zu tun hätte: „ ... sie sind auch in der Psychiatrischen.“ „Äh, ja, temporär. Sie auch? Ich habe sie da noch nie gesehen.“ „Es ist unübersichtlich. Die vielen Gebäude, all die Abteilungen, rauf und runter, ja. Und man hat so seine Gewohnheiten. Die einen leben lieber am Morgen, die anderen des Abends oder sogar Nachts. Und das Zeitalter sollte man auch nicht ausser Acht lassen.“ Leon schaut etwas fragend, überlegt einen Moment. Das Zeitalter? Natürlich, klar. „Ja, das Zeitalter wird viel zu wenig beachtet, das stimmt, leider. Alle wollen in die Gegenwart, darum ist die so masslos überfüllt. Ich für meine Begriffe, ich bevorzuge die Zukunft. Aber da ist man ziemlich alleine.“ „Die Angst, die Angst, die Menschen meiden die Zukunft aus purem Schrecken. Obwohl sie den Schrecken weder kennen noch beschreiben können.“ „Aha, Philosoph, denk ich. Stimmt‘s, sie sind Philosoph? Zumindest philosophisch bewandert ...“ „Es ist nichts weiter als ein bisschen Wissen um das Leben.“ „Sie sind bescheiden. Darf ich fragen, mit was sie sich beschäftigen?“ „Nun, die Antwort bleibt die gleiche. Mit dem Leben. Einzig dazu zu sagen wäre, um vollständig zu sein, ich habe versucht es zu beschreiben.“ „Aha, sie schreiben, sind also Schriftsteller.“ War ich. Einst. Als ich durchs Leben ging. Heute gehe ich nur noch über Land. Wie sie gerade sehen.“ „Sie Schreiben nicht mehr ... wenn es ihnen so genügt …“ Leon stockt. Fährt dann, nach kurzem sich finden fort: „ …ja, die Bedingungen, wie ich zur Genüge weiss, sind nicht sonderlich ideal.“ „Mein Dasein ist soso lala. Was sagt sich der Löwe im Zirkus? Wenigstens muss ich mir um’s Futter keine Sorgen machen. Dass ich nicht mehr jagen kann, muss ich verschmerzen. Halt die Schwermut ertragen. Sie hat auch ihr Gutes. Lustig sein ist auch kein Schleck. In Massen haben wir’s gern, aber stellen sie sich einmal vor, sie müssten es als Beruf betreiben. Auf der Bühne den Jokel machen. Oder sogar Lustspiele schreiben. Das ist im Überfluss kaum auszuhalten … und solch arme Autoren haben nicht die Möglichkeit, der Schwermut zu verfallen. Es ziemt sich nicht, traurig zu sein, wenn man der Lustigkeit verpflichtet ist. Ja, mir scheint, die Schwermut ist fast leichter zu ertragen, weil man über die Ausweglosigkeit auch mal herzhaft lachen kann.“ „Es ist so, ja. Nur scheint mir, was mich betrifft, ich bin da weder Fisch noch Vogel. Mal traurig, mal lustig. Ich kann‘s ertragen, aber für die Fachwelt ist es äusserst irritierend. Sie wissen nicht, wie sie mich behandeln sollen.“ Leon zeigt nach unten. Der Herr mit dem Hut weiss was er meint. „Die Doktoren die uns da diagnostizieren, therapieren und vermedikamentieren.“ „Ja, ja, die auch. Aber genauso die gescheiten Leute schlechthin, der Mann auf der Strasse, die Dame im Kaffee. Wer traut sich denn heute nicht, ein Urteil abzugeben. Auch die Presse … die Journalisten … sind nicht zu beneiden, sie müssen von Berufswegen ihren Senf dazu geben. Wenn sie brav und minutiös genau beschreiben, heisst’s, es sei langweilig und wenn sie urteilen, ihre Meinung äussern, heisst’s, sie seien überheblich oder jedenfalls tendenziös …“ „Wirft man sie ins Wasser, stirbt der Vogel und schmeisst man sie in die Luft, stirbt der Fisch. Ich habe die Behandlung abgebrochen. Der Löwe bleibt im Zirkus und macht brav das Männchen. Wobei, ehrlicherweise, schreibe ich wohl noch. Aber so unleserlich wie möglich. Für mich, nur noch für mich. Ich könnte auch sagen, für‘s Papier. Weil es raus muss. Raus aus mir. Nicht raus in die Welt. Das bringt mir nichts mehr.“ „Manchmal essen sie auch etwas, obwohl es ihnen nicht schmeckt.“ Er lacht. „Sofern sie Hunger haben. Dann realisieren sie auch, was Hunger ist. Stellen fest, dass sie eigentlich nie genau gewusst haben, was das eigentlich ist: Hunger. Ja, so ist das mit uns Menschen. Reden so oft über Dinge, und wissen nicht, wenn‘s drauf ankommt, um was genau es sich handelt.“ So reden sie beim Aufwärtsgehen. Gehen bedächtig weiter. Zeitweise schweigend. Zwischendurch bleibt wieder einer von Beiden stehen. Wenn zum Beispiel etwas präzisiert werden muss. Oder einfach weil ihnen beim Gehen die Luft knapp wird. Sie sind nicht mehr die Jüngsten. „Bei mir ist es umgekehrt. Ein Leben lang habe ich notiert für mich. Und jetzt, so gegen das Ende, meine ich plötzlich, es gäbe da noch etwas, das ich der Menschheit mitteilen müsste. Pure Überheblichkeit, wenn ich‘s mir dann mal bedenke ... aber man ist halt der Mensch der man ist.“ „Lassen sie sich bloss nicht abhalten. Ich spreche nur für mich ... der Spaziergang ist die beste Ausrede, wenn einem nichts Gescheiteres mehr in den Kopf kommt.“ „Man hofft, es springe da und dort doch noch ein Gedanke heraus.“ „Man lüftet freundlich den Hut, lächelt die Waschfrauen mit ihren bunten Kopftüchern am Brunnen an, grüsst und geht stumm weiter.“ „Die haben keine Zeit zum Schwatzen.“ „Ja, schade dass es keine Waschweiber mehr gibt.“ Die beiden Männer lachen. Der mit dem Hut fragt: „Was beschreiben sie, wenn ich fragen darf.“ „Es tönt banal. Aber wenn ich es sage, müsste ich die Gewähr haben, mich erklären zu dürfen.“ „Ja, wie oft hätte ich den Leuten meine Texte gerne erklärt. Weil sie immer etwas ganz anderes gelesen haben, als ich geschrieben habe. Nur zu, ich lasse ihnen die Zeit.“ „Ja, der Säntis ...“ „Nur zu. So wie er sich da erhebt.“ Der Mann mit dem Hut und dem Schnauz zeigt mit einer ausholenden Bewegung hinauf. „In seiner ganzen Pracht. Nun rede ich ihnen rein, bevor sie sich ausdrücken können. Aber doch: Mir ist er lieber, wenn er nebelverhangen ist.“ Sie gehen wieder eine lange Zeit. Ohne ein Wort. „Er schlägt ihnen auf’s Gemüt.“ „Ja. Gemütskrank sei man, mit solchem Getue. So nennen sie es. Die da unten ...“ Er zeigt wie Leon vorhin ins Dorf hinunter.

„Es ist eine Krankheit, sagen sie. Man sei krank, wenn die schönen Dinge weh tun ... was aber nicht heisst, dass man sie meinetwegen entfernen muss. Ich bin kein Egoist. Es reicht mir vollauf, wenn ein Hauch von Nebel das Dasein etwas erträglicher macht.“

„ Um es nun doch geradeaus zu sagen: Ich will diesen Berg, diese Berge da vor uns abbauen, grob gesagt.“ Auf Details will Leon jetzt nicht eingehen. Wozu technisches Zeug, in so einem tiefgründigen Moment? So fährt er fort: „Es ist mir zwar, jetzt nach ihren Äusserungen, etwas eigenartig. Zwei Beweggründe, die gleiche Reaktion. Sie sehen ihr Gemüt entlastet, wenn der Berg nicht da ist. Ich habe mir diese Utopie ausgedacht, um meine Leere zu füllen. Mit etwas Beliebigem mein Leben füllen. Das ist meine Geschichte.“ „Beliebig? Stellen sie ihr Vorhaben nicht so leichtfertig in Frage. Beliebig ist etwas, wenn sie behaupten, zu wissen, warum sie es tun.“ „Und wenn ich das eigentlich nie weiss?“ „Dann ist es ... nun, das Wort ist abgedroschen, aber es fällt mir kein besseres ein ... Wahnsinn …“ Und fünfzig Schritte weiter: „ …aber erst, wenn einem bewusst ist, dass man nichts weiss. Nein, denken sie nicht, ihr Tun habe keinen Wert. Ich habe das Leben nie begriffen, und doch habe ich es dauernd beschrieben. Ich habe mich nie berechtigt gefühlt, das Leben anderer Menschen zu interpretieren, und doch habe ich tausend Leben erfunden. Meine Freiheit ist der Wahnsinn. Ich bekenne mich dazu. Ich habe mich in der Psychiatrischen Klinik niedergelassen. Bei vollem Bewusstsein. Hier muss niemand behaupten, er wisse etwas.“ „Dass ich noch nie mit ihnen gesprochen habe. Erstaunlich.“ „Die Menschen haben verschiedene Zeiten.“ Sie gehen wieder eine ganze Zeit bergwärts. „Haben sie jemals einen Bäcker gesehen, der zur Arbeit geht?“ „Sie haben recht. Wahrscheinlich bleibt uns nichts anderes übrig, als aneinander vorbei zu leben6.“

„Abermals nach einer längeren Zeit sagt der mit Hut und Schnauz: „Hier führt mein Weg nun nach rechts.“ Leon zieht es weder nach links noch nach rechts. Aber auch er sagt: „Auf Wiedersehen ...“ und, „ es war mir sehr aufschlussreich. Vielleicht ein andermal.“

Abends ca 19.30 Uhr steigt er in Hundwil ins Postauto. Klarheit brachte ihm der Ausflug nicht. Fast eher noch mehr Ungewissheit. Immerhin, einen weiteren Nachmittag überlebt.

Leon schrieb die Notiz: Wenn man von einer genügenden Portion Wahnsinn ausgeht, kann man über die unmöglichsten Dinge diskutieren. Voraussetzung dabei ist das Mass an Fantasie der Beteiligten. Und ist es auch Wahnsinn, so hat es doch Methode. Schrieb Goethe. Das ist zwar schon etwa zweihundert Jahre her, aber genau gesehen ist die Menschheit keinen Deut weiter. Will sagen, der Wahnsinn ist so verpönt wie eh und je, auch wenn er offensichtlich die einzige Chance zur Rettung ist. P.S. Meine Definition: Wahnsinn schafft den Mut zum Unmöglichen.

Seid Stunden wälzt sich Leon im Bett. Weiss nicht ob er schläft oder wach ist, redet stumm auf sich ein: Mensch Leon, schlaf endlich. Mensch Leon, red nicht so einen Quatsch. Lass die Nacht vergehen. Sie haben noch nie etwas gebracht, diese nächtlichen Eskapaden. Du meinst du seist gescheit, wenn du gescheit redest in deinen Gedanken. Wahrscheinlich verstehst du selbst nicht was du sagst ... „Nein, aber ich weiss was ich sagen will.“ „He, was ist? Leon, bist du wach, oder träumst du?“ „Warum, was ist?“ „Du hast geredet.“ „Ich?“

Im Schlaf, wahrscheinlich.“

„Geträumt ... hab wohl geträumt.“ „Scheint mir auch so ... „ … „Sie eilen durch die Gänge.“ „Wovon sprichst du, wen meinst du?“ „Mit den Patientendossiers, Joseph, mit den Diagnosen ... mit den Befunden, mit den Indikationen. Gefährlich, es ist höchst gefährlich.“ „Du träumst, Leon, die sind alle im Bett ... oder wenigstens nicht hier.“ „Träumen … ich? Nein sie sind unterwegs, kreuz und quer. Die Kardiologen und die Internisten, Anästhesisten … die Orthopäden, und die ... die für den Kopf zuständig sind und für die Nerven, die Neurologen und wie sie auch heissen mögen alle...“ „Am besten versuchst du zu schlafen.“ „Es ist zu gefährlich, brandgefährlich. Joseph! Sie müssen das Ding wieder zusammenkriegen, bevor es zu spät ist.“ „Was für ein Ding?“ „Na, das Mensch ...“ „Das? Das Mensch, äh, was?“ „Das Mensch halt, ja halt, oder wenn du willst, kannst auch sagen, das menschliche Wesen. Es ist zerstückelt. Furchtbar zerstückelt, etwas da, etwas dort. Die Haut, die Knochen, die Organe, alles. Für jedes Stück ist jemand anderes zuständig. Sie geben sie nicht mehr her, diese menschlichen Teile. Die Spezialisten. Sie hüten ihre Pfründe wie Glucken ihre Jungen ... und jetzt kriegen sie es nicht mehr zusammen.“ „Wie denn zusammen?“ „Ja, eben halt wie Lego Steine. Sie kriegen sie nicht mehr ordentlich zusammengesteckt. Das hat der Darwin eingebrockt. Der hat alles auseinander genommen, seziert. Weil er das, was da so diesem Schöpfer da oben zugeschrieben wurde, nicht mochte. Die Pfaffen lügen, hat er gesagt, mit dem Zeug, Paradies, Adam und Eva und so. In sieben Tagen sei es entstanden. Haa, jedes Paradies ist erst dann echt, wenn es künstlich angelegt wird, hat er gesagt, der Darwin. Ich sage dir, er hat recht. All das, was da Schöpfung genannt wird, ist ein einziges Durcheinander. Wenn es da diesen lieben Gott gegeben haben sollte, ist der völlig überfordert gewesen. Aber es habe ihn sowieso nicht gegeben. Und er hat den Beweis erbracht, der Darwin, damals. Das Paradies kann nur ein künstliches sein, vom Menschen erschaffen. Aus dem trostlosen Urwald auf der Insel hat er ein Paradies gemacht …* „Aha, wo? Kannst du mir dieses Paradies einmal zeigen … äh, Morgen. Morgen reicht mir.“ „ … auf der Insel Ascension. Garten Eden. Jedes Paradies ist erst dann echt, wenn es künstlich angelegt wurde … und dann hat er auch den Menschen erfunden ...“ „Wer?“ „Mensch, Josef. Eben der Darwin.“ Josef kann’s nicht verkneifen, er muss richtig lachen. „Also für die Erfindung des Menschen war, so wie ich weiss, die Evolution zuständig.“ „Ja, eben, und diese Evolution hat der Darwin erfunden. Die hat ja nicht einfach gesagt, hallo, ich bin die Evolution. Und die hat er, eben der Darwin, hat diese sogenannte Evolution zerlegt, so in allgemein verständliche Einzelstücke. Und eben … auch das menschliche Wesen. Und jetzt kriegen die es nicht mehr zusammen. Jeder doktert an seinem Stück herum. Dabei wollte der Darwin etwas schönes daraus machen. Eben im Verständnis, dass alles schöne künstlich sei. Wie das Paradies, selbst erschaffen. Er wollte der Künstler sein. Ist doch irgendwie verständlich, oder?“ „Ha, Künstler ... und wo ist das Kunststück? Der Mensch vielleicht, was?“ „Es hat ihm nicht mehr gereicht, Josef, zeitlich, halt. Es dauert alles seine Zeit, wir wissen es doch zur Genüge. Und Künstler sind sowieso faul, Die arbeiten immer erst im letzten Moment.

Da steht er schon, am besprochenen Treffpunkt, die Bank, das grosse Holzkreuz, das kann nur er sein. "Herr Lörer? Leon Kalter." "Guten Tag Herr Kalter. Ein besonderer Name, kennt man hier nicht so." Ein offenes Gesicht. Erster Eindruck, dem kann ich alles sagen, wohlwollende Augen, die erste Runde fast schon überstanden. Er hört zu, sie sitzen auf dem Bänklein solange Leons Ausführungen dauern, dann sagt er, das müsse er sich erst einmal durch den Kopf gehen lassen, beim Hinaufsteigen etwas verdauen, beim Gehen, da denke es sich ja meistens am besten. Sie gehen gemeinsam weiter.

Sie erreichen den Gasthof. „Zufahrt für Landwirtschaftlichen Betrieb gestattet.“ Vor dem Haus stehen ein Haflinger, zwei Subarus, drei Traktoren. Einer mit laufendem Motor. „Nicht weiter von Belang, die Bauern beziehen das Dieselöl immer noch fast gratis.“ Drinnen sagt Löhrer dann aber, bevor er noch grüsst, „da draussen läuft noch ein Motor.“ Einer dreht sich um und grunzt irgendetwas wie: „Huara ...“ Die anderen am Tisch lachen schallend heraus. Ihnen ist zur Genüge bekannt, der Fehlbare sagt in solchen Fällen: Der Motor läuft seit vierzig Jahren ohne dass ich ihn je abgestellt habe und das bleibt so bis ich den Löffel abgebe. Aber sie sagen, er sei eigentlich sonst kein unleidiger. Nicht etwa ein ewiggestriger. Er sei sogar für das Frühenglisch in den Schulen gewesen. Die Appenzeller haben das in der Schweiz mit als erste eingeführt. "Hoi Alfons. Das ist Leon Kalter aus Herisau." Lörer kennt den Wirt. Kennt die Anwesenden Gäste. "Kalter? Nie gehört, wird sicher wieder lustig, wenn ich an den, wie hiess er doch gleich schon wieder, der Wunderdoktor, den du letzthin mitgebracht hast, denke. Ha ha, du bringst uns ja immer ... immer mal wieder was Neues, gell Löri (früher sagte er auch mal Löli. Kinder sind gemein). Mir ist es recht. Abwechslung ist gut, hier oben, stimmt's?" Fragt er in die Runde am Nebentisch. Gemurmel. Löhrer hat sein Image, man kennt ihn. Das ist nicht abschätzig gemeint. Seine Arbeit, sein Einsatz für die Region wird sogar bewundert und mit Anerkennung honoriert. "Bitte, ein schön kaltes Bier." "Für Kalter ein kaltes Bier. Das passt. Ich bin der Alfons." "Ich heisse Leon," und zu Lörer, "wir können auch per du. Leon. Zum Wohl." "Manfred. Prost." "Schön hier oben." Für Manfred Löhrer keine Frage. Das ist so, davon ist er überzeugt. "Bist du das erste Mal hier oben?" "Ja." Tatsächlich ja. Leon wird das erst jetzt so recht bewusst. Er kennt die Gegend nur auf Grund der virtuellen Nachbildung von Joseph Stengel. Für ihn ist sie eigentlich schon fast nicht mehr da, so wie er sie jetzt zum ersten Mal sieht.

Lörrer schaut einen Moment zum Fenster hinaus. Zum Berg hinauf. Dann wird er dem Ruf, den er hier oben augenscheinlich hat, wie eben, irgendwelche abstruse Gedanken vortragen oder quere Typen mit bringen, gerecht und sagt: "Leon will den Säntis abbauen.“ Anderswo würden die Leute jetzt wortlos den Blick senken, vielleicht in bekannter Weise mit dem Zeigefinger an die Schläfe tippen. Nur in Gedanken, natürlich. Im Appenzellerland kann man fast immer mit einer sinnigeren Reaktion rechnen. „Nimmst du ihn am Stück mit, oder sollen wir ihn in Portionen liefern?“ „Hast du Platz in deinem Garten?“ Alfons, der Wirt schaut so halb schräg nach oben. Die drei am Nebentisch grinsen. Einer meint: "Alfons, wär doch was, die Hütte gut verkaufen und ab in die Südsee." „Ha, wahrscheinlich wirst du enteignet.“ Und ein anderer: "Bist du vom Fernsehen, oder was?“ Schaut Leon leicht spöttisch an. „Die haben doch immer so Ideen da unten, wissen nicht, was sie sich sonst noch für verrücktes Zeug ausdenken sollen." Irgendwo eine Kamera versteckt? Kabarettist?“ Leon bleibt ganz cool und erklärt: "Nein, ich beschäftige mich mit der Zukunft." Er reicht Alfons einen Computerausdruck aus dem Mäppchen, welches er zuvor aus dem Rucksack geholt hat und macht auch gleich schon die nächsten zum Weiterreichen bereit. Zeigt Manfred und Alfons, mit der offenen Hand über das Bild fahrend: "Blick etwa aus der Gegend von Gossau." "Er ist ja noch da!" "Wer?" "Der Säntis!" "Teilweise." Nur teilweise, weil es eben psychologisch wichtig sei, dass er gewissermassen doch noch da ist. Das sagt Leon aber nicht. Die anderen drei rücken herüber. Schauen auch. Einer meint: "Das verändert ja gewaltig. Da hinten die Glarner Alpen.“ „Die Churfirsten ...“ „Ganz verreckt." Leon reicht wortlos ein weiteres Blatt.

Leon schrieb in sein Büchlein: Wenn ich gesagt hätte, wie es wirklich dazu kam ... wie mich zu jener Zeit als freischaffender Künstler, Visualist nannte ich mich, laufend immer wieder irgendwelche saublöden Auftraggeber mit diesem scheiss blöden Berg genervt haben. Wie die sich diesen Fetisch fantasielos hin und her weggeklaut haben. Säntis Yoghurt. Säntis Garage. Säntis Teppich. Säntis Wäscherei. Säntis … Sollen sie das doch haben. Von mir aus daran ersticken. Aber was eben so entscheidend war für mich. Sie haben meine Ideen zerzaust. Ja, Herr Kalter, ihre Arbeit ist wunderbar, genial, und wir gratulieren, haben sie gesagt. Und dann! Nur noch eine Kleinigkeit. Es müsste da noch ein Bezug zum Säntis hergestellt werden. Leckt mich doch am Arsch! Ja, einmal brüllte ich einfach los, leckt mich am Arsch mit eurem Säntis. Burn out, sagten sie wohlwollend.

„Dreihunderttausend, oder wie viele Häuser, sagtest du, sollen versetzt werden. Ich kann mir nicht einmal vorstellen, wie nur Eines versetzt wird. Auf so Stützen, wie Pfahlbauten sagst du. Hokuspokus, senken die sich hinunter, sagst du?!“ „Stell dir einen Kellner, eine Kellnerin vor. Sie tragen ein volles Tablett auf den gestreckten Fingern über dem Kopf. Dann balancieren sie es elegant hinunter auf Tischhöhe, ohne einen Tropfen auszuschütten, nichts fällt hinunter. So werden, bildlich ausgedrückt, Tausende von Serviceangestellten jedes Haus, jede Wiese, jeden Wald auf die projektierte Position absenken.“ „Das hast du jetzt wunderbar poetisch gesagt. Die Finger sind aus dem bekannten Material und senken alles so behutsam und langsam hinunter, die Menschen, die da leben, werden es nicht merken.“ „Aber gewisse technische Probleme sind nicht zu vernachlässigen. Bäche zum Beispiel, oder Eisenbahntrasse, oder Strassen. Die sollen auch versetzt, rauf oder runter bewegt werden, geht das denn?“ „Die Mobilität, da muss man sich im Klaren sein, wird sich radikal verändern. Nicht mehr viel mit Strassen oder Eisenbahnen, wie wir sie noch kennen.“ „Sagte ich doch,“ fährt Josef fort, „ da ist doch dann fast alles unter dem Boden.“ „Traurig, irgendwie, ohne Ausblick ...“ „Ach, das wird sich zeigen.“ „Vielleicht werden die Tunnelwände angemalt, wie Landschaften, oder Alpaufzüge, so mit Kühen, Ziegen und Sennen.“ „Cool. Und das Land auf dem du in deinem Haus sitzt, fährt ganz automatisch hinunter? ...“ „Wie ein Lift in einem Wolkenkratzer. Du sitzt da wie gesagt, vielleicht im Restaurant auf der Schwägalp und schwups, saust das ganze achthundert Meter in die Tiefe.“ „ … ungefähr so, ja, nur musst du mindestens vierzig Jahre sitzen bleiben.“ „Ein bisschen lange, ich wüsste bald nicht mehr, was ich trinken soll.“ Anja sagt, wirklich nur halblaut: „Stell dir vor, Marie kommt jede halbe Stunde und fragt, darf‘s noch etwas sein.“ „Ätzend!“ „Dumme Zwetschge, ich bringe dir gar nichts, hier ist Selbstbedienung.“ „Ich habe nicht mit dir gesprochen.“ „Über mich hast du gesprochen, ich habe es genau gehört. Weil du meinst, du seist etwas besseres als ich, jawohl, dumme Gans.“ „Fang bloss nicht an zu schreien, blödes Huhn …“ *Was soll das, in vierzig Jahren gibt es sowieso nur noch Selbstbedienung.“ „Dann gehe ich aber sicher nicht mehr ins Restaurant.“ „Ja, das kannst du laut sagen. In vierzig Jahren ist dein Rollator durchgerostet. Wenn du dann überhaupt noch leben würdest. Da müsstest du ja hundertzwanzig werden.“ „Und du … du wirst nie so alt wie du aussiehst ...“ „Bitte, keine Streitereien jetzt, es geht hier um sehr viel wichtigere Dinge.“ „Jawohl, was ist eigentlich zum Beispiel mit den ganzen Felsen und dem Geröll da oben? Wenn die Berge erst einmal da unten sind, so schön flach, und da sollten dann eigentlich Gras, Getreide oder sogar Reben wachsen. Wie bitte? Auf den Steinen vielleicht, oder was?“ „Da finden sich Lösungen. Denk an die Wüste, die Israelis haben die Wüste bewässert, jetzt essen wir Früchte von dort ...“ „Ja, von den Israelis können wir noch viel lernen.“ „Ja, die haben sogar aus Wasser Wein gemacht.“ „Das war Jesus ...“ „Ja schon, aber der war Jude, vorher.“ „Aber du weisst nicht, ob er diese ganzen Wunder als Jude gemacht hat, oder ob er da schon Christ war.“ „Ich würde sagen als Jude, die müssen immer wieder Neues erfinden.“ „Wahrscheinlich kommen die bald schon alle hierher, weil es dort viel zu heiss ist.“ „Ja, nicht nur dort, ja, es wird an vielen Orten zu heiss, es gibt noch viel zu bedenken ...“

Gulasch. Es wird darüber spekuliert, ob es in der Küche ein Kochwechsel gegeben haben könnte . Szegediner Gulasch, echt kreativ. Annja nimmt zwar trotzdem, oder vielleicht zum Trotz, Poulet. „Annja, die Sache mit dem Löhrer, dem Geologen, du erinnerst dich. Ich habe ihn da oben, unter dem Restaurant, beim Kreuz stehen lassen. Weil er gesagt hat, er pfeife auf das Projekt, etc.. Du weisst. Und jetzt sagen die da von der Polizei … die wissen, wann ich mich hier abgemeldet hatte ...“ „Jetzt brauchst du ein Alibi.“ „Ja. Also geradeheraus gesagt, ich habe angegeben, ich sei zu dem Zeitpunkt im Keller gewesen, mit einer Frau ...“ „Hast du mich irgendwo da unten gevögelt!?“ Annja lacht so laut und schrill, wie man es von ihr halt kennt. „Mensch Leon, so’ne alte Schachtel wie mich? Männer in deinem Alter machen das doch nur noch mit jungem Gemüse. Ist dir wohl gerade nichts besseres eingefallen?“ „Nein, Annja, stell dein Licht nicht unter den Scheffel. Ganz ehrlich, ich habe manchmal davon geträumt … Manchmal habe ich sogar gedacht, es sei Realität. Du weisst doch. Du hast dich ja schon mehrmals über meine Fantasie lustig gemacht ...“ „Nicht lustig gemacht. Ganz sicher nicht. Ich bewundere deine Fantasie. Ist mir im Moment einfach fast ein bisschen peinlich. Wenn ich denke, ich muss dem Breitenmoser, oder so einem Knaller sagen, ich habe im Keller die Beine breit gemacht. So auf dem baren Boden, oder was?“ „Matratze. Alt, aber sauber. Und Spitzenvorhang, St. Galler Stickerei. Zum Zudecken.“ „Ah, das geht ja noch. Hast du‘s uns richtig gemütlich gemacht?“ „Machs mir nicht so schwer. Es ist mir schon peinlich genug, und vor allem, du müsstest ja richtig einen Meineid schwören...“ „Ach, das ist das kleinste Problem. Was hab ich nicht schon gelogen.“ Sie kreischt. „About Sex! Wenn die Leute gefragt haben, als ich noch verheiratet war, so Nachts in der Runde, wenn man so etwas beschwipst ist, wie viel mal macht ihr es denn pro Woche. Da hat man gekichert, ja so, zwei, drei Mal.“ Sie kreischt noch lauter. „Pro Tag!“

„Es wird gebeten zu läuten.“ Steht da geschrieben. Schwarz auf weissem, bombiertem und verziertem Emailschildchen, auf dem Türfries montiert mit Kopfschrauben in Messing. Der Typographie nach zu schliessen, mindestens aus den zwanziger Jahren. Mutmasslich wurde das Gebäude zu jener Zeit wieder einmal renoviert. Der obere Teil der Türe ist verglast, satiniert und geätzt mit Jugendstilmotiven. Einsicht gibt es daher nicht. Nach ziemlich langer Zeit ist etwas zu hören. Schlurfende Schritte ... Der Schlüssel dreht sich im Schloss. So tönt es, stellt man sich vor, in einem verlassenen englischen Schloss, wenn die Türe nach Jahren wieder einmal geöffnet werden soll. Es ist nicht unbedingt gewährleistet, dass sie dann auch wirklich aufgeht. Aber wer war schon einmal in einem verlassenen, englischen Schloss. Ein Alter, nein, es lässt sich ohne Übertreibung sagen, ein Greis steckt den Kopf durch den sich öffnenden Spalt. Wirklich fast wie ein Schlossgespenst. Nur ohne Leintuch über dem Kopf. Verschwindet wieder. Kettengerassel. Lässt sie herein. Wahrscheinlich heisst er Methusalem. Nein, eigentlich sehr sicher. Kein Wort. Vorerst. Das Grüppchen Fasnachtsputze, oder Zirkusleute, man gibt sich betreffend der Bezeichnung offen, tritt ehrfürchtig ein. Als Letzte kommt Leonida. „Sehr erfreut, Leonida. Leonida Kalter.“ „Sönd willkomm ...“ Methusalem öffnet den zahnlosen Mund. Das sieht aus, als ob er lachen würde. „Meinen Namen kenne ich schon fast nicht mehr. Ich bin schon zulange hier. Ja lange. Kann ich ihnen sogar genau sagen. Seit dreiunddreissig. 42 bis 59 war ich Direktor ...“ Als ob er nicht ganz sicher ist, ob man ihm das abnimmt, fügt er hinzu, „ ... hier, Direktor von der Irrenanstalt Herisau war ich, jawohl.“ Anstalt. Schreckliches Wort. Ja, aber es wurde so genannt, damals. Was soll das Beschönigen. Es war eine Irrenanstalt. Und es ist immer noch eine, halt mit modernem Namen. Wer sollte das denn nicht besser wissen als Leonida, die im wirklichen leben Leon heisst, und ihre Entourage.

Der Methusalem schlurft voran. Schaut zurück. Bleibt wieder stehen, meint, Leonida komme ihm irgendwie bekannt vor. „Blondinen sehen immer irgendwie ähnlich aus, weil man halt vornehmlich auf die Haare schaut.“ Was Leon schon eher beschäftigt: Da tauchen wir unvermittelt in diesem vergessenen Gemach auf. Eine Gruppe Maskierter. Marsmenschen, Doppeltes Lottchen, eine rote Rose, ein Zirkusdirektor, seine Frau Leonida, und eine wunderschöne Ballerina … Annja … Nun sind sie da, und der Methusalem hat keine Miene verzogen und keine Frage gestellt. Leonida sieht sich genötigt, den Grund des Kommens kund zu tun. „Wir sind, zu ihrer Information, gekommen, um Friedrich zum Namenstag zu gratulieren. Gemäss unseren Informationen verbringt er sein Dasein seit einiger Zeit hier.“ Methusalem schaut fragend. „Friedrich? Nietzsche, Dürrenmatt, Kaspar David, den Namen gibt es hier mehrfach.“ Leon lässt die Ungereimtheiten stehen und meint: „Nein es ist einer, ja, wie soll ich mich da ausdrücken, um nicht unhöflich zu erscheinen, es ist einer der noch lebt. Mehr oder weniger unter uns weilt.“ „Sagen sie das doch gleich, sie meinen Arthur. Ja der ist noch ganz fidel. Wenn ich sie aber doch belehren darf, werte Frau Zirkusdirektor, es sei mir in meinem Alter gestattet, dies zu sagen, die anderen leben auch noch ... zugegeben, wie sie eben noch sachkundig erwähnten, mehr oder weniger. Sie müssen wissen, in unserem Hause ist es, wie im Übrigen in all solchen Häusern so, dass die Insassen mehr oder weniger leben. Eher weniger zwar, das liegt in der Natur der Sache. Wir sind schlichtweg nicht in der Lage, die hohen Erwartungen, die diese Menschen ans Leben haben, zu erfüllen. Wir müssen zwangsweise reduzierend eingreifen. Da ist es halt leider oft nicht mehr zweifelsfrei ersichtlich, ob eine Person eher mehr oder weniger lebt oder eher schon mehr oder weniger tot ist.“ (War also damals nicht anders als heute.) „Kann ich durchaus nachempfinden. In diesem Fall bin ich allerdings sehr froh, zu hören, dass es sich um einen Lebenden handelt. Wenn wir ihm nun bitte unsere Referenz erweisen dürften.“

Die Idee mit der Torte war ein Flop. Ja, jedes Kind hätte darauf kommen müssen. Ein Papagei, Stunden darin eingesperrt, frisst sich in einer Torte zwangsläufig von innen nach aussen. Glück überhaupt, er hat sich nicht schon vor der feierlichen Übergabe an den Namenstag - Jubilar herausgefressen. Unglück hingegen, wie Friedrich den oberen Teil, was gleichzeitig der Deckel ist, abhebt, streckt der Papagei den Kopf heraus, verdreht die Augen ... und kotzt. Friedrich auf‘s Hemd. Es traut sich niemand zu lachen. Als erstes sagt Methusalem: „ So wie ich das einschätze, ist der auch etwa so alt wie ich.“ Als zweites krächzt der Papagei, „Arschloch, Arschloch“. Jetzt lachen alle. Die Ballerina sagte später, er habe dabei Leon, den momentanen Travestiekünstler angeschaut, weil dieser die verrückte Idee hatte, das arme Vieh in die Torte zu stecken. Was dieser wiederum anzweifelte, weil er in jenem Moment noch nicht Leonida oder sogar schon Frau Zirkusdirektor war. So ganz sicher war er sich da auch nicht mehr. Das Doppelte Lottchen war sich hingegen sicher. Der Papagei hat sie angeschaut. Es tat ihr in diesem Moment weh. Schliesslich hatte sie im Namen aller gehandelt. „Heilige Johanna,“ hatten sie gesagt, „ wir trauen es dir am ehesten zu, ein liebes Tier zu finden.“ Das haben sie gesagt, weil sie wissen, wie sensibel sie ist. In so einem Moment denkt niemand, wenn sie so sensibel ist, tut es ihr auch am meisten weh. Im Zoogeschäft hiess es, sie hätten noch nie einen Papagei gehabt, der so viel redet wie Lady Gaga. So heisst das Tier. Ein Graupapagei (Nur schon die Idee, so ein farbloses Ding Lady Gaga zu nennen).Als Mensch ist man jedoch hin und weg, wenn der Vogel „guten Morgen mein Süsser“ kreischt und man hebt ihn sogleich auf Augenhöhe. Dabei hätte man sofort auf die Bremse treten müssen. Man hätte zumindest erst einmal zuhören müssen, was er sonst alles von sich gibt. So viel Vulgäres, stellt sich später heraus, es lässt sich kaum vorstellen. Im Wissen, das graue Scheusal heisse „Lady Gaga“, hätten eigentlich alle ahnen müssen, da stimmt etwas nicht. Das hat sich später auch eins zu eins herausgestellt. Das Federvieh hat zum Beispiel, in seinen langen Lebensjahren, nachweislich, mindestens eine Ehe zerstört. Wobei dies nicht etwa der menschlichen Lady Gaga untergeschoben werden konnte, weil das Tier damals noch, wie fast alle Papageien, Coco hiess. Das ist erwiesen, weil „Lady Gage“ immer noch hie und da schreit: „Entweder Coco oder ich“ und „du mit deinem blöden Coco“. „Fick doch deinen Coco“ und so weiter. Wahrscheinlich hat es sich etwa so zugetragen: Die Frau bringt dieses Federvieh nach Hause, obwohl der Mann das eigentlich gar nicht will. Dann stürzt sich das arme Vieh auf den Mann! Papageien wollen einen Gebieter. Nach kurzer Zeit ist er dem Tier mit Haut und Haaren verfallen. Die folgende Katastrophe lässt sich ausdenken. Es hiess: „Entweder das Tier oder ich.“ Am Ende musste der Papagei wie der Mann, oder die Frau, das ist nicht bekannt, nach der Scheidung das Haus verlassen. Ihre Wege trennten sich. Dies ist wiederum dokumentiert, weil der Papagei folglich Lara hiess. Wahrscheinlich hat man zu jener Zeit das Geschlecht bestimmt. Jetzt lernte sie zu sagen: „Ach Lara, bist du eine Süsse“, und, „Lara Küsschen“. Es war keine schlechte Zeit. Leider kam sie dann wieder in neue Hände, in wie viele weiss niemand, jedenfalls hiess sie endlich nun „Lady Gaga“. Eine böse Zeit. „Scheiss Vogel … immer nur scheissen … Saustall“, solche Sätze sagt sie unzählige, am Laufenden Band. Auch „Gaga ist gaga“, „ich dreh dir den Hals um“, „halt die Fresse, blödes Vieh“, anhand dieses Vokabulars lässt sich der Haushalt dem sie angehörte bestens beschreiben. Lady Gaga begann sich die Federn zu raufen. Kahle Stellen zeugten von ihrem Leid. Wieder im Zoogeschäft wurde alles darangesetzt, den Eindruck zu verbessern. Das gelang leidlich, weil sie für eine Zeit den Käfig mit einem Artgenossen teilen durfte. Es geht den Viechern auch nicht anders als den Menschen. Sie sind lieber mit Artgenossen zusammen (In der Regel). So fand die Heilige Johanna also das arme Tier bei diesem sehr vernünftigen Zoohändler. Sie fühlte sich sogleich seelenverwandt mit dem Grauen Tier. Ihre Wunden sind auch für immer sichtbar. Die Federn sind wohl nachgewachsen, aber die Narben bleiben für immer. Eigentlich fand sie es unhaltbar, ein Tier als ein Geschenk zu kaufen. Es ist nicht absehbar, ob der Professor überhaupt gewillt ist, „Lady Gaga“ zu behalten. Wenn nicht, landet sie wieder auf dem Markt. Eine weitere Enttäuschung. Aber: So ein Gefieder musste jetzt blitzartig her. Koste es was es wolle. Sie brauchen den Kontakt zu Professor Friedrich und diesen konnte eben nur so ein Papagei herstellen. „Lady Gaga.“ Der Narr, die Rolle, in welche Friedrich letztlich schlüpfte, ist ehrlich entzückt. Und der Papagei scheinbar auch. Mehrmals wiederholt er liebevoll: „Arschloch, Arschloch.“ Ganz offensichtlich, das Tier weiss mit der Menschheit umzugehen.

Erster Höhepunkt ist der Zwischenhalt in Frümsen. Die anderen sind längst da. Der Travestiekünstler, der Zirkusdirektor, die Rote Rose und der Promi zogen es vor auf dem Landweg zu reisen. In Herisau auf der Station, „station“, englisch ausgesprochen, mit dem Wort Bahnhof wusste niemand etwas anzufangen, wurden sie von einem Roboter informiert: „Tube nummer seven, in Buchs bitte auf den Urban Shuttle umsteigen.“ Ok, das ist für sie noch nachvollziehbar. Was dann aber passiert lässt sie fassungslos staunen. „Wir hatten das zwar angedacht … “ meint der Zirkusdirektor, „unterirdisch ...“ „Ja, angedacht. Ja das haben wir. So in groben Zügen, aber ...“ Sie schauen zum Fenster hinaus. Rundherum Fenster. Dort ein Bauer auf dem Traktor. Kinder auf dem Schulhausplatz. Da weiter unten Gossau. Der Travestiekünstler schaut nach oben: … wie üblich, da oben, Himmel. „Wir sind doch eben in einen Tunnel eingefahren ...“ schaut sich um. „Jetzt sehe ich da unten die Arena. Da, ganz links, das Fussballstadion.“ Eine junge Frau, mit ihnen eingestiegen, und das alles hörend, lacht. „Das sind keine Fenster, man schaut nicht hinaus, das ist Illusion, Virtual Reality halt.“ Sie mustert den Travestiekünstler und die andern belustigt, aber keineswegs unhöflich. Fährt fort: „Ja, sie haben recht. Wir fahren unterirdisch. Sie sind nicht von hier, scheint mir.“ Der Zirkusdirektor meint, mehr zu sich: „Nein, nicht von hier. Wenn ich das so sehe, eher von Gestern ... wir sind wohl von Gestern ... “ und er wiederholt: „ ... wir haben das zwar angedacht ...“ Die Fremde hat es nicht gehört, er nuschelt auch als Direktor, und sie berichtigt: „Das ist kein Fussballstadion, das ist die Weltraumstation. Marsterminal, um genau zu sein.“ „Und was ist mit dem Fussball?“ fragt der Promi, sichtlich irritiert. Als Secondo aus dem ehemaligen Jugoslawien liegt ihm das Thema immer noch am Herzen. Beziehungsweise in den Genen. „Fussball? So weit ich weiss, gibt es das noch irgendwo in der Stadt. Espenmoos, oder so ähnlich. Es ist eher etwas nostalgisches. Das ist nicht meins. Aber ich weiss, es gibt so etwas. Früher muss es etwas sehr Wichtiges gewesen sein.“ „Wichtig ...“ Dem Promi ist richtiggehend zum Heulen zu mute. Es ist nicht einfach wichtig. Fussball ist alles, das A und O. Rechnen tut man nur, weil man leben muss. „Marsbahnhof? Wie kommt man denn dahin?“ Marsfrau Edith gelingt es trotz Trubel, die Frage zu stellen. „Tube elf, soweit ich weiss. Aber sie müssen auf der station lediglich ihr Ziel aussprechen, dann werden sie eingewiesen. Die richtige Tube kommt immer nach maximal sieben Minuten.“ „Vielen Dank!“ „Keine Ursache.“ Sie, die nette junge Frau steht auf, macht sich bereit zum Aussteigen. „Lustig“, sagt sie, ich hätte sie gerne noch etwas ausgefragt. Woher sie kommen. Vom Mars ja wohl nicht. Sonst hätten sie das alles gewusst. Die sind ja gut informiert da oben. Und wenn die etwas nicht wissen, sind die sich zu fein, um zu fragen. Marsmenschen halt. Da oben. Ziemlich abgehoben. Leider müssen wir aussteigen. Wir sind in Buchs.“ „Sind wo?“ „In Buchs. Sie wollen nach Frümsen, habe ich gehört. Da nehmen sie den Urban Shuttle. Aber der Robi wird es ihnen schon melden.“ „Der ... wer?“ „Der Roboter. Einfach Frümsen sagen. Beybey.“ „Highlandsack ... angedacht hatten wir es, ja ... drei Minuten! Herisau - Buchs, drei Minuten … Highlandsack.“ Der Zirkusdirektor hätte jetzt gerne ein Bier. Nur zur Beruhigung, wie er in solchen Momenten jeweils vor sich hin murmelt.


Heilige Nacht

Der Tod fühlte sich in seiner Mission gelangweilt. Schon eigenartig. Gerade dieser einzige vollendende Akt, der manch Menschen von seiner Langeweile befreien kann, ödete ihn unendlich an. Er verfluchte diese neue Zeit, wo er weder Gott noch Teufel verpflichtet war, wo ihm niemand mehr in ordentlicher Weise, jedes Wenn und Aber erwogen, präzis begründete Aufträge überbrachte. Die Wahllosigkeit beschämte ihn. Das Entscheiden ohne Für und Wider, das uneingeschränkte Recht ohne Gericht degradierte sein Tun zur Routine. Dann und wann sagte er, es sei kein schönes Spiel, die Willkür mit welcher er umzugehen habe, bereite ihm grösste Mühe und möge niemand denken, er wäre gierig darauf, täglich, stündlich, ja jede Sekunde tausendmal das Rad des Schicksals zu drehen. Nein. Verdruss. Ueberdruss. Verlorene Zeit. Einst tat er, was er tat in liebevoller Akribie, tat vieles mit Leichtigkeit, oder musste sich ebenso oft überwinden, gewisses erledigte er spöttisch, gar hämisch, immer diente er virtuos und mit Fingerspitzengefühl, verzückt, oder, man mag erstaunt sein, auch in tiefster Trauer. Aber nun, da er in völliger Freiheit handelte, Sachwalter selbst war, befiel ihn mehr und mehr eine tiefe Agonie. Zu gerne hätte er demissioniert. Aber wo fand sich die Instanz an die er sich hätte wenden können? Wer nähme seinen Hut entgegen? Und viel bedeutungsvoller noch die Frage: Wer würde seine Arbeit übernehmen. Könnte er sie ohne Nachfolgeregelung einfach eines Tages beenden? Unvorstellbar! Die Not wäre nicht auszudenken. Nein, sein Gewissen würde solches nicht zulassen. Er trug die Verantwortung ja nicht von oben befohlen, er trug sie, weil er selbst verantwortungsvoll war. Derart sinnierend, wissend um die Unendlichkeit, sass er versunken in einem weichgepolsterten Ohrensessel und schaute, mit allem Unmut über das inhaltslose Sein, zum Fenster hinaus. Da unten, in dieser Stadt, wo die Menschen sich längst in ein Gefüge gebracht hatten, welches, gleich einem riesigen Puzzle, komplett war, in dieser Stadt, wo die Häuser wie Edelsteine glänzten, in dieser Stadt, wo man mit wenigen Schritten von einem Park zum nächsten gelangte, in dieser Stadt, wo jeder Springbrunnen noch schöner war als der andere, in dieser Stadt, wo die Kirchen zu den schönsten der Welt gehörten, in dieser Stadt, wo die Strassen hinein und wieder hinaus führten, wo man offen war, wo man Handel trieb mit aller Welt, wo man gern und fleissig auf Reisen ging, wo man über alles informiert war, wo man ansonsten unter sich war, sich an die Spielregeln hielt und nichts vergab, wo jedermann abends hinter sich die Türen schloss und sich rein fühlte, wo jedermann davon überzeugt war, das Mass der Dinge, wie der Undinge, zu kennen, wo man sich berechtigt fühlte, Freud und Leid zu kalkulieren, in dieser Stadt sollte er sich, auch heute Abend, seine Aufgabe stellen. Es waren aber gerade diese täglichen Einsätze, welche ihm besonders schwer fielen. Sie machten ihm mehr zu schaffen, als die furchtbarsten Katastrophen, Naturereignisse oder Kriege. Das dreiste Kalkül der Menschen, ihre überhebliche Berechnung des Lebens, mit welcher sie ihn so nonchalant vom gebührenden Platz verdrängten, ihr Umgang mit dem Schicksal, als ob es nicht mehr als eine blasierte Porzelanpuppe wäre, ihr belangloses Dahinsterben ohne Feuer, Schrei und Gebet, demütigte ihn. Hätte er bloss wüten können! Er war unerwünscht und doch so unentbehrlich zugleich. Diese Verstrickung war es, die ihn so gnadenlos bann, die Ohnmacht, die ihn geleitete. Unheilvolle Allianz. Sinnlos jeder Anfang, wenn da kein Ende abzusehen ist. Um sich aus der Untiefe dieser Verzweiflung herauszuholen, verlegte er sich nun darauf, das Szenarium des bevorstehenden Abends vorzubereiten. Es gehörte zu seinem Handwerk, das ganze Drumherum zu planen, er musste all diese unwiderruflichen Umstände und zeitlichen Begebenheiten in einem komplexen Bild sammeln, damit es den Hinterbliebenen in nötiger Weise anhaften würde. Das Gefüge hatte sich logischerweise auch hier grundlegend verändert. Konnten die Menschen einst berichten als wären sie allesamt Dichter, war einst jedes Totenbett ein Gemälde, klangen die Wehklagen wie Chorgesänge, so rangen sie nun mit dem Entsetzen, beschworen das Leben, als wäre es fassbar und verstopften sich die Ohren, in der Hoffnung sich gegenseitig nicht zu hören. Er hätte längst das Nachsehen gehabt, wäre er nicht gerade zu jener Zeit auf die Magie gestossen. Gönnerhaft entlehnte er sich diese Kunst bei den Gauklern (dessen Anherr er schliesslich war), und statt mit der Endlichkeit und den damit zusammenhängenden Gedanken, Aengsten oder Sehnsüchten über vorher und nachher, beeindruckte er die Menschen von nun an mit der baren Dramaturgie. Dies Szenarium, wie er es nannte, schloss alles mit ein, sein Handeln schlechthin, seine Figürlichkeit samt den Kostümen und Dekorationen, die Oertlichkeit, die Statisten und ihre Texte, überhaupt alle Geräusche, auch Gerüche, Wind und Wetter. Und obwohl es ihm stetig bewusst war, wie fadenscheinig er dabei sogar sich selbst an der Nase herumführte, empfand er doch hie und da einen gewissen Gefallen am Getue. Er hatte sich zu einer Art Regisseur entwickelt, welcher dem Spiel zum Opfer fällt, ohne den Inhalt zu tangieren. Und er gestattete es sich, weil er schliesslich damit erfüllte, was die Menschen unterliessen. Heute, an diesem speziellen Abend, wollte er die Aufgabe so vollendet wie möglich gestalten, vielleicht, dass sie ihn am Ende gar befriedigen würde. Er wollte keiner Gesetzmässigkeit verfallen, wollte weder Reiche tadeln noch Arme ihrem Schicksal verpflichten. Er wollte ein neues Stück Geschichte schreiben. In einem Schmelztiegel wollte er die Sekrete mischen, es sollte sich eine Masse bilden die alles enthielt, jede Sorte, jedes Alter, jede Grösse, gut und böse, hässlich, schön, gescheit und dumm und dann wollte er zur gerechten Zeit mit scharfer Klinge hineinstossen in's Gebräu. Irgendeine Kreatur würde spiessen daran, ohne Vorsehung, wahllos und doch kein Versehen. Ob altershalber, ob todkrank, ob vielzuschade. Einerlei. Die Nacht war angebrochen. Er sass am Ort des Geschehens, welchem er sich verpflichtet hatte, und im ersten Moment schien ihm seine Wahl sogar recht wunderlich. Ob er sich vielleicht anschicke, Menschlichkeit vorzutäuschen in eigennütziger Absicht? Liess er sich auf ein gefährliches Spiel ein, indem er nach der Menschen Empfinden, nach ihren Gefühlen, Wünschen, Träumen, Wirklich- oder Scheinbarkeiten fragte? Wollte er sich gar in gemeiner Weise Genugtuung verschaffen? "Ach was will er?" Fragte er sich seiner menschlichen Gestalt entsprechend, in höflichster Form: "Er weiss sehr genau, dass seine Stellung solche Eskapaden über die Grenzen hinaus gar nicht zulässt. Mit allen Fäden in der Hand bleibt ihm von dieser Warte aus doch nur das Betrachten und Registrieren. Er wird einsam bleiben, vom Geschehen getrennt wie das Publikum im Theater, ohnmächtig jubelnd oder tödlich schweigend. Soll er das Zaudern lassen!" Da ihm zudem bekannt war, dass die Objektivität im Umgang mit den Menschen sowieso immer den bitteren Beigeschmack der Vorsätzlichkeit annahm, beschloss er, für diesen Abend nichts Grundsätzliches mehr abzuwägen und sich ganz dem Ergötzen hinzugeben. Aus der Nähe betrachtet, sah wirklich alles ganz anders aus. Hier sassen die Unverbesserlichen, und hier verkehrten die Etablierten, um jene zu sehen. Künstler tranken neben Arbeitern Bier, Studenten träumten laut und vernehmlich. Die Frauen trauten sich herein ohne Begleitung. Mütter stillten ihre Kinder. Hier traf sich die Justiz zum Kartenspiel, während die Entlassenen die Freiheit begossen. Sogar was gemeinhin als Abschaum bezeichnet wurde, ging hier ein und aus. Hier war nichts aussergewöhnlich, notfalls kokketierte man mit der Toleranz. Hier hinter den Kirchen fand er, was er von oben nicht gesehen hatte. Und er dachte, so wird dies wohl meinen Wünschen entsprechen. Auch wenn ich erstaunt bin, gibt es eigentlich nichts zu bemängeln. Aufs genauste passend, stellte er fest, hatte er auch seiner Person den richtigen Anstrich gegeben, sich mit Namen versehen, wahllos aus dem örtlichen Telephonbuch gegriffen: "Kantmann, Primus". Ohne jeden Bezug. Ebenso legte er sich einen Beruf und alle sonst nötigen Daten bei. "Und siehe da, es wird kein Mensch mehr Anstoss an ihm nehmen." Wer hätte denn noch an Totenkopf, Gebein und Sense gedacht. Er war gut angezogen. Ausgesucht, in rechter Preislage. Italienische Schuhe. Das Foulard zwar französisch, aber perfekt abgestimmt, in dezenten Farben, sehr modisch und doch nichts Provokatives. Das rotlackierte Knöchlein am kleinen Finger seiner Rechten vervollständigte nur die Menschenfigur. Solche Marotten entsprachen den Gepflogenheiten der Gattung. Das waren die Kapriolen der Eitelkeit. Details, auch die kleinsten, waren genau zu beachten. Das Szenarium verlangte nach Vollständigkeit. Der gewählte Platz bot gute Uebersicht. Er hatte den Blick frei in alle Richtungen, sah den Eingang und das Buffet. Die Tische waren sehr gross und man setzte sich üblicherweise irgendwo dazu, höflich mit der Floskel, "Noch was frei?" oder griesgrämig, stumm. Gegen Geselligkeit war man so oder so nicht gefeit. Am Tisch seiner Wahl sassen zwei Herren, sie machten sich gerade mit grosser Miene und viel Gehabe daran, das Festmenü zu bestellen. Kantman schien es angebracht, gleichzeitig mit ihnen zu essen. Dies würde die Konversation auf ein paar Höflichkeiten beschränken, und damit seine Arbeit nicht allzusehr beeinträchtigen. Die Beiden nahmen aber vorerst sowieso nicht weiter Notiz von ihm. Ebenso laut und vernehmlich wie sie gerade noch die Speisekarte rezitiert hatten, palaverten sie nämlich weiter über Gott und die Welt. Da sagte etwa der eine, Bethlehem seie belagert wie im Krieg, und der andere, wir werden ein Regiment abkommandieren zur Befreiung, und wieder der andere, schliesslich sind wir bis zu den Zähnen bewaffnet, und, Tote gibt es sowieso reichlich, und so weiter. Kantman hätte sich gewundert, hätte er nicht gewusst, dass zu dieser Zeit in der Stadt traditionellerweise ein Narrentreffen abgehalten wurde. Es war also naheliegend, oder zumindest möglich, dass es zwei Abgesplitterte waren. Sie zogen es wohl vor, inkognito zu sein. Und ich werde es ihnen, als Mensch, kaum vorwerfen können. Wer zeigt sich schon gerne von seiner wahren Seite? Aber womöglich dachten sie sich auch gar nichts dabei. Vielleicht liebten sie es einfach nicht, an offiziellen Banketten teilzunehmen. Mutmassungen... Er werde im Laufe des Abends mehr erfahren. Jedenfalls störte er sich nicht daran, wenn sie vom Tod als "Gevatter" sprachen oder wenn sie gackerten wie die Hühner. Er nahm überhaupt sein Dasein gelassener, hatte er doch unter Narren die Gewähr, nicht in die Lage zu kommen, eine verbindliche Aussage machen zu müssen. Als ihn während des Essens plötzlich einer der Beiden ansprach, ob er ihm nicht diesen zauberhaft-tödlichen Schmuck vom Finger weg verkaufen würde, antwortete er denn auch fast überschwenglich belustigt, leider seie es unverkäuflich, ein Andenken an eine vergängliche Zeit, aber er fühle sich geschmeichelt. Jener entschuldigte sich gleich höflich: "Verzeihung, heute Abend geniessen wir eben alle Freiheiten. Man singt überall "Ihr Kinderlein kommet", wie sie wohl hören, und Kinder sind Narren, wie sie wohl wissen." Ja, doch Narren nicht zwangsläufig Kinder, hätte Kantman gerne gesagt. Aber es wäre dieser Gesellschaft gar nicht aufgefallen, wenn er in seiner endgültigen Art alles beim Namen genannt hätte. Kinderfiguren, oder es mochten Englein gewesen sein, derweil behauptete ihre Begleiterin, nelkenbesteckte Zitronen würden böse Geister bannen, es gäbe sie neuerdings immer mehr, nur würden sie heute so auftreten, wie früher die Wölfe im Schafspelz. Und zufälligerweise kam die Dame im Persianer schon das dritte Mal. Am Nebentisch sprachen Doktoren über die Vorteile tragbarer Suchgeräte, sie würden somit nicht mehr Gefahr laufen, entbehrlich zu sein. Ein Mann von fast zwerghaftem Wuchs rief immer wieder, er wäre nur wegen des Pianisten hier. Und zwischendurch liess ein entsetzlich grelles Lachen das ganze Hin- und Hergeschwatze verstummen. Da sass eine eigenartige Person am Tisch neben dem Klavier. Ein Mann Mitte Fünfzig, er sah nur annähernd wie ein Mensch aus, schnappte nach allem mit wulstigen Lippen, wie ein Kamel. Wenn er aufstand, fiel alles um, was auf dem Tisch war. Die Gläser brachen in seinen Händen. Den Teller, von welchem er ass, streckte er unter den Tisch, damit sich der Hund auch ein Stück schnappe. Es gab Zeiten, da sassen sie verklärt, ihre Gesichter leuchteten und sie sangen himmlisch. Aber wer wäre befugt zu werten? Kantmann schob sich einen weiteren Bissen von diesem herrlichen Festmal in den Mund. Woran mag es liegen? Ist es die Zeit, die immer wieder alles verändert? Können sie hier so sein, wenn sie dort so waren? Oder liegt es womöglich gar am Szenarium? Lachen sie nur? Führen sie ihn womöglich an der Nase herum? Ist dies gar kein eindrückliches Stück Leben? Auch für sie nur fragiles Bühnenspiel? Wunderlich... Und da er dies letzte Wort wohl vor sich hingemurmelt hatte, sah sich einer der Herren veranlasst zu sagen: "Wir leben im Zeitalter der Wunder." Aber was sollte er geben auf das Wort eines Narren? Wie zur gänzlichen Verwirrung setzte der Zweite auch noch das Spiel fort. "Zum Beispiel," ereiferte er sich sehr übertrieben, ist es ein Wunder, wenn man in diesem Hause bedient wird." "Und," der Erste wieder, "wenn man schliesslich bedient wird, ist der Service lausig. Es wird den Gästen die Tomatensosse über die weissen Hemden gegossen und man kassiert unverschämter Weise zwei Biere für eins." Der Kellner, welcher gerade in vollendeter Form den Wein nachschenkte, verzog keine Miene, fragte nur, aufs vornehmste lächelnd: "Haben die Herrschaften sonst noch einen Wunsch?" Kantman hätte sich schier laut ereifert. Was soll diese schändliche Diffamierung, meine Herren? Beachten sie die Eleganz, die Gewissenhaftigkeit. Welch ein Auftritt. Er war ganz verzückt, es machte ihn geradezu traurig. Was für ein Jammer, diese Verschwendung! Vollendetes Handwerk! Ach zum Teufel mit allem Mass! Hätte er wählen können! Das wäre eine lohnende Partie. Er liebte solch gepflegte Dienstbarkeiten sehr. Leider nur durfte er in seiner Absolutheit nicht derart subjektiv handeln. "Es wäre ein Leichtes, auszusuchen aus einer Fülle von Jugend, Tugend und Geschick, aber er muss Sorge tragen. -Er hat nicht Zeit und Musse den Menschen auszusuchen nach seiner Libido. Er hat darauf zu achten, dass die Mischung stimmt und er hat daraus sein Quäntchen zu nehmen. Ein Auszug, der in seiner Zusammensetzung wieder genau der Gesamtheit entspricht. Er würde wohl arg fehlen, wenn er daran ginge, den Menschen zu bewerten. Es würde womöglich darauf hinauslaufen, dass er ihn nachäffte, er würde hierhin und dahin laufen, ein eigenartig willkürliches Sterben würde anbrechen." Kantman beendete sein Mahl. Nun wird die Zeit bald da sein. Die Kirchgänger werden kommen, um vor der Mitternachtsmesse noch schnell ein Bier zu trinken, dann diejenigen, die pflichtbewusst die Familienfeier hinter sich gebracht hatten, dann diejenigen, die eigentlich ganz alleine und besinnlich zu Hause bleiben wollten und dabei die Besinnung verloren, und sowieso diejenigen, die um diese Zeit jeden Abend kamen, und irgendwann dann kurz vor zwölf, werden alle da sein. Sie wissen nicht warum. Bedacht oder unbedacht wird jeder für sich seinen eigenen Grund beanspruchen. Szenarium hin oder her. Lachend oder weinend, Theater oder Wirklichkeit. Alles durchschauend, verdrängend oder in panischer Angst, gelassen oder sich mit aller Kraft sträubend. Sie kommen. Er hat sie gerufen, heute Abend, und auch wenn sie ihn nicht mögen und auch wenn sie flehen: "Warum gerade an solch einem Tag, dem Tag der Liebe, des Lebens..." Oder wenn sie schimpfen: "Soll er doch mit jenen in die Kirche gehen!" Ist doch alles nur Widersinn, unbedeutend, längst offenbart. Jene gehen in die Kirche, weil sie Schutz suchen vor ihm. Dabei hat der liebe Gott seine Ansprüche längst abgetreten. Und wenn sie nach Sühne schreien. Auch umsonst. Der Teufel wird längst von der Lust maltraitiert. "Er ist der letzte!" Kantman setzte sich ruckartig noch eine Spur korrekter hin. "Und er ist der einzige, der nicht bestechbar ist." Nun kam es darauf an zu beobachten, nein wirklich trefflicher gesagt: Zu kontrollieren! Es kommt darauf an, dass alle da sind, dass sich keiner drücken kann. Es kamen immer noch mehr. Das Fräulein vom Buffet, gleich einer Giacomettifigur, filigran, tanzte dann und wann ein Solo im Raum, der alternde Pianist schlurfte wieder und wieder zum Klavier, sich auf alle Seiten verneigend, und die Gäste, sie klatschten, sie pfiffen, sie kannten ihn alle, sie waren voller Zuneigung. Aus allen Ecken riefen sie, "Herr Ober, noch einen Whisky dem Mann am Klavier." Er spielte "Ihr Kinderlein kommet" und den Menschen lief es kalt den Rücken hinunter. Der Kamelartige sang laut mit. Die Narren plärrten: "Das Christkind ist geboren, freuet euch sehr, es bringt euch frohe und gute Mär." Und der Kamelartige: "mäh, mäh, mäh". Und einer der schon ganz betrunken war, ging zum Buffet und machte der Giacomettiartigen einen Heiratsantrag. Und ein anderer spendierte spontan zwei Flaschen Champagner. "Lasst uns in die Kirche reiten..." brüllten die Narren im Chor, "...macht hoch die Tür, die Tor macht weit. Ratatatam, ratatatam, ratatatam..." man hörte das Pferdegetrappel und sie wieherten dazu wie echt, "...wir wollen Tom Dooley hängen..." Dieser, wenn auch nur verbale Eingriff in den Bereich des Todes liess Kantman aufhorchen. Dabei verhielt er sich derart, dass sich der Narr neben ihm zum zweiten Mal veranlasst fühlte zu reagieren und diesmal sogar sehr direkt: "Warum sitzen sie eigentlich den ganzen Abend so distingiert da? Sie wollen sich, scheint's, mit dem gemeinen Volk nicht abgeben, oder haben sie Angst davor, sich irgend etwas zu vergeben? Also, bitte schön, gehen wir davon aus, dass sie über den Dingen stehen. Fein erzogen, nehme ich an, und aus bestem Hause. Darf ich bekannt machen: "Meine Wenigkeit." (Als wäre dies ein Name!) Und hier, bitte: "Mein Herr Kollega." Und darf man fragen, wo kommen sie hier? Ich kann sie in keiner Weise einordnen. Ihre Kleidung ist zwar teuer aber nichtssagend. Auch aus ihrem Gesicht lässt sich nichts ersehen. Ja, verzeihen sie bitte, ich würde sogar sagen, es ist leer. Wirklich, für Gesagtes muss ich mich unterwürfigst entschuldigen, aber Tatsachen weisen sich aus. Verstehen sie, wir sind Narren, unbestechlich. Wir reissen jede Maske herunter. Verstehen sie, das ist unser Los. Spass zwar, aber doch längst nicht nur ungetrübte Freude. Manchmal haben wir sogar Halsschmerzen vom ewigen Gelächter. Jawohl..." und, schon fast abgewandt: "Sie wollten mir doch sagen, wo sie herkommen, oder..." und dann spielten sie ihr Spiel wieder zu zweit weiter, "er kommt von Norden, Süden, Osten, Westen... nein falsch, er ist einer der heiligen drei Könige... er will das Kindlein sehen. Und wenn's niemand sieht... klaut er es heimlich aus der Krippe... dann weint Maria und Josef ist froh... so muss er den Balg nicht auch noch durchfüttern..." Die Zeit ging zur Neige. Die Stimmung hatte ihren Höhepunkt erreicht. Der Pianist spielte noch herzerweichender als zuvor, und jener, welcher schon zwei Flaschen Champagner spendiert hatte, verkündete: "Jetzt geht alles auf meine Rechnung!" und "Ach, der Alkohol tut schon sein Gutes," und er prostete in die Runde, "zur rechten Zeit und massvoll. Ach, ist das Leben schön..." und er hätte gerne noch weitere Toasts ausgesprochen, aber der Kamelartige drängte sich vor. Er wollte auch reden. "Damals," er fuchtelte wild mit den Händen, ringend nach Worten und Luft, "da war ich noch ein Kind, da starb mein kleiner Bruder, wir sangen "Oh du fröhliche" und meine Mutter..." jetzt streckte er die Hände weit von sich, Tränen quollen ihm aus den Augen. Er konnte nicht mehr sagen, was mit der Mutter geschah, weil ihm alles im Halse stecken blieb. Eine Gruppe elegant gekleideter Herren stürmte herein und verlangte dringend nach Bier. Kantman stand auf und ging ohne jedes Bedürfnis ins Pissoir. Kaum stand er da, begann da neben ihm schon wieder einer zu reden, als ob man reden müsse, redete über die Notwendigkeit offener Türen, über den Schrecken der Einsamkeit und über die immer grösser werdende Zahl von Selbstmorden, insbesondere an solchen Tagen. "Irrtum," sagte Kantman. "Wie, bitte?" fragte der andere, weil er verständlicher Weise nichts damit anfangen konnte. "Irrtum," wiederholte Kantman. "Noch ist es nicht Sache des Menschen über Leben und Tod zu entscheiden. Noch nicht!" Der andere hatte sein Geschäft beendet und murmelte beim hinausgehen: "Machen Sie sich doch nichts vor... Sieht doch jeder, wir gehen dem Ende entgegen." Kantman blieben nur noch ein paar Minuten. Er musste seine Zeche bezahlen, Hut und Mantel holen. Der Raum war inzwischen brechend voll. Die Wirtin stand zufrieden am Buffet. Die Gäste hatten was sie wollten. Sie schaute dahin und dorthin und nickte zum Gruss. Zufällig sah sie auch ihn. Und es mochte sein, sie fragte sich, wo sie ihn schon gesehen habe, so, wie sie sich's eben fragen, jene, die ständig so viele Gesichter sehen. Sie runzeln bedenklich die Stirn. "Tod, alias Kantman," flüsterten tonlos seine Lippen. "Doch kein Grund zur Angst." Nein, sie wunderte sie sich nur ein wenig darüber, dass er schon aufbrach. Jetzt, wo so viel Leben im Gang war. Ja, hätte er dazu gesagt, es sind viel fröhliche und zufriedene dabei, aber wer ist schon befugt festzustellen, ob sie ihr Fröhlich- und Zufriedensein auch schadlos überstehen werden. Wenn schon, dachte sie. Sie nötige niemanden. Die Leute mögen kommen, wenn es ihnen gefällt. Jeder ist willkommen. Nein, sie hat auch nichts gegen die Unangenehmen, die Notorischen, die Reklamanten, die Lauten, die Ueberheblichen, die Verwirrten, Armen, Kranken. Alle sind willkommen. Und ebenso kann auch jeder wieder gehen, wann er will. Kantman warf ihr noch einen Blick zu, fast schien's, von einem schelmischen Lächeln begleitet: Würde sie nicht glauben, dass ihre Gäste heute einem ganz anderen die Ehre erwiesen. Nun ja, wer wollte es ihr verdenken? Sie sah sehr attraktiv aus... Er trat hinaus. Augenblicklich verblasste sein Gesicht. Die Maske war ihm zunehmend lästig geworden. Das Licht der Strassenlaternen flackerte gespenstisch im aufkommenden Wind. Wehende Mäntel vorbeihuschender Menschen hier und da. "Hinter der Kirche, da ist ein Ort, wo man euch Schutz gewährt," rief er. Aber sie hörten nicht hin. "Heilige Nacht, Ballastablagerung, Blinddarm, Fehlentwicklung in der Artgeschichte dieser Spezies, Bagatelle im Ablauf des Universums." Er nahm das Futteral aus der Tasche und legte das rot lackierte Knöchlein hinein. "Vergesse er es doch nicht, einst nachzufragen, was dabei herausgekommen sei."


Vernissage Otto Forster in der Galerie von Margrit Oertli. 23.08.2020

Wo mich d Margrit gfröget hät, ob ich a de Vernissage vom Otto Forster es paar Wort wür säge, han ich sehr gern ja gsait. Ich ha mi gfreut. Druf aben isch aber grad die Corona Krise cho, und es isch abgloffe, wie allgemein bekannt. Zerst d Frag, chan die Vernisage überhaupt na stattfinde. Dänn immer meh Gwüssheit, dass es nöd wird sii. Druf isch de „lock down“, die Ziit vo de absolute Funkstilli cho. Me hät nöd nur dè, sondern ein Termin nach em andere gstriche, bis de Kalender leer gsii isch. Aber wo mer sich scho fast a das Nüt gwöhnt gha hätt, hät sich‘s langsam wider ruggwärts aafe abspile: Mer chön allefalls en Uusstellig mache, hät‘s gheisse, aber uf ken Fall e Vernissage. Das hèt dänn au bedütet, es dörf nüt z trinken und nüt z ässe gè. Da demit sind logischerwiis d Bedenke cho, wer chunt scho a son en Aalass, wo‘s nüt z ässen und nüt z trinke git? Es wär e so chlii wie uf dem Bild. Mer gat inen Obstgarte will mer gern en Öpfel hett, und dänn hanged dè e so unerreichbar wiit obe.

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Mer hät dänn nadisna e chlii drüber naa dänke chöne, wie mer mit em fortschrittende Lockerigsprozess das oder dises doch chönt mache, wie mer öppen eini vo denen Bundesrätliche Aaordnige chönt umgaa, überliste. Wä mer na mal das Bild aalueged, chönt mer da jetzt zum Biispil uf d Idee cho, en Stei z nè und z versueche, de Öpfel abezschüsse. I dem Sinn hät mer überleit, zum Biispil kei offes Büffet i de Galerie, sondern Häppli, hygienisch in Celofan ... und villicht sogar die Gabe nöd i de Gallerie, sondern vor de Tür als Wegzehrig für de Rundgang verteile. D Zueversicht, dass, wänn d Lüüt bis vor d Tür chömed, die dänn höchstwaarschinlich mit em Glas i de Hand scho au na ine gönd go d Bilder aaluege... ... und glii druf hät mer au scho wider aagfange drüber na z denke, dass es zwar scho e kä richtigi Vernissage dörf si, das heisst, mer dörf uf kein Fall e Red halte, aber mer chönt ja eifach es paar Wort säge. Ich ha mir überleit, wien ich das chönt aagatige, ohni dass ich gège die Richtlinie verstosse, und da isch mir dänn eigentlich klar worde, das isch ganz eifach. Es chan mir e kè Behörde an Charre fahre, wänn ich reden ohni dass ich en Uussag mache ... rede ohni Uussag isch Coronaconform. Es isch ja unablässig grett und gschribe, aber nöd würklich öppis gsait worde, will niemert gwüsst hät und immer nanig weiss, was mer überhaupt chan säge. Mer hät als eifachi Person nur luege, lose, lèse chöne, um das dänn z interpretiere. Da schlan ich jetzt en Boge zur Kunst. Kunst macht immer en Uussag, aber am End liit‘s au a öis, wi mir si dänn interpretiered. Und jetzt isch es plötzlich i de sogenannte Würklichkeit au e so. Mer chan die wüsseschaftliche und staatliche Meldige au nur na interpretiere, grad e so wie Kunst.D Zitige und Medie sind scho sit Monate voll vo dene Kunstwerk. Elegant zogni Linie wo sich uf und ab beweged, zwüschedure chrüzed, in bunte Farbe. Und vor allem da die zackige Gebilde ... ufen aben ufen abe ... zickzack, zickzack. Mer hät ja, Zuefall oder nöd, i dere Ziit au grad em Nägeli sini Grafitis chöne gsee. Die sind au e so zickzack. Nur sind die „zickzack“ bim Nägeli mit Chöpf und bi dene Coronabilder händ‘s e kei Chöpf ... Mer chönt quasi säge, Statistiker mached Nägeli ohni Chöpf ... die einte „zickzack“ beziehnd sich da zum Bispil uf die „nöi Infiszierte“, und die andere uf die „Tote“. Det chönt mer natürlich scho säge, die bruched e kè Chöpf mee. Uf der andere Siite cha mer ebe grad gliich nöd behaupte, das seg chopflos, was öis da vo Politik und Wüsseschaft ohni End brichtet wird ... die müend öppis säge ... das isch denen ire Bruef und iri Pflicht. Aber das isch i dere Ziit ebe bsunders schwirig. Wie wot mer säge was richtig isch, wä mer nöd weiss was falsch isch ... und da gits dänn au na die wo säged, das gäbs sowieso alles gar nöd. Das mit dem Coronazüg seg alles ggloge. Die händ in irem Chopf en grosse Pinsel mit wisser Farb und decked die Statistike eifach ab ... und dänn hät mer gsee, bim Kunsthus z Züri händ’s das au gmacht. Händ‘s die Nägeli mit Chöpf au eifach übergwisglet. Da han i mi gfröged, wie söll mer da na drus cho, was macht mer, wä‘mer nümme weiss, was Realität und was Kunst isch. So hät sich grad i dere Krise zeigt, es git e kè definierti Wèlt. Mir sind uf em Holzwèg, wämmer de Wüsseschaft oder de Politik präzisi Lösige abverlanged. Die chönd nöd me und nöd weniger als Künstler. Wä mer d Müllene deruf lauft, lüchtet da obe siit Jaaren in englischer Sprach de Spruch, de heisst übersetzt: Künstler interpretiered d Wèlt, und denn interpretiered mir d Künstler. Mer erfaart d Esenz vom Lèbe, wämmer Kunstwerk interpretiert, wènn eim debi klar wird, dass da eigentlich s gliich ablauft wie im reale Lèbe. Nämlich: Mir chönd da und det nur interpretiere.

So han ich, ganz für mich, nöd wüsseschaftlich, festgstellt, es isch jetzt oft, da wo‘d Wüsseschaft, d Regierig, de Staat, nöd witer weiss, d Kunst, wo eim en Wèg vorgit. Das isch mir so richtig uufgfalle, won ich das Bild uf de Iiladig zu dere Uusstellig gsee han. Nei, da han ich würklich gstuunet! Für de Otto Forster isch es i dem Fall ganz ok, han i dènkt, wè mer i dere Ziit e sone Balonfahrt macht.

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En ganze Chorb voll Lüt. S isch mir eigenartig vor cho, er isch ja suscht en sehr vorsichtige, geradezu en ängstliche, chönt mer säge. Aber won is dänn genauer aaluege, das Bild, gseen i, da hanged e Leitere. Im Notfall cha mer uusstige. Mer gseet ja nöd, wie höch obe de Balon oder wie lang die Leitere isch. Aber es git eim die Gwüssheit, won eim s reali Lèbe nüme per se cha büte. Die Gwüssheit, dass mer, wänn‘s bränzlig wird, chan uusstige. Na zum en andere Bild wett i öppis säge: D Lili Marlen. Marlene Dietrich hät ja das Lied im Chrieg gsunge, zur Uufmunterig vo de Soldate. Mer verglicht jetzt d Corona Pandemie na öppe mit eme Chrieg. Jetzt isch da das Bild, vo dere Frau wo singt. Und ich stell mir vor, wie de Otto das Bild aaglueget hät wo‘s fertig gsii isch. Er chönt so, im Muulegge d Pffife, dagstande si und dènkt ha, hopla! Ja, oder, de Otto als Maa, dènkt jetzt da: Da han ich die Frau gmalet ... und weit und breit e ken Chrieg oder Manne mi Waffe ... jetzt macht da e Frau alles eleige ... aber nei, äxcusi, das isch natürlich nöd das, was de Otto denkt hät, das isch das, won ich i das Bild ine interprètiere.


1. August in Uzwil

Liebi Festgmeinschaft, ich begrüessen ali ganz herzlich, da a dere 1. August - Fiir 2013 in Uzwil.

Ich han jetzt ganz bewusst kei Ventilklausle iibaut. Ich säg nöd „liebi Schwyzerinnen und Schwyzer“, nei, ich sägen au dene Grüezi, wo ke sones rots Büechli mit wiissem Chrüz händ. Ich wett nöd gschuld si, dass die vor luuter Teübi, dass ich sii nöd begrüesse, d Schwyz verlönd, suscht händ d Industrie und d Buure es Problem. Und chrank sii wür mer dänn au gschiider nüme, will fast niemert me da wär zum öis gsundpfläge und de FC Sangalle chönt sowiso grad iipacken ohni die, wo kä sones rots Büechli händ ...

O.k. iezt denked natürlich einigi, eine wo so Züüg sait, das cha doch nur en Sozi sii ... Die ligged denäbed. Ich han en Betriib ghaa ... jahrelang da z Uzwil.

Es isch scho klar, dass das nöd all wüssed, aber ich het nöd denkt, dass ich e so unbekannt bin! Da hät mich sogar eine gfröged, öb ich de Schneider Ammann seg. Mer cha doch usere Frisur na kän Politiker mache ...

Aber ich will hüt gar nöd über Politik rede, sondern über de erst August, über de Rütli Schwur, über d Geburt vo de Eidgenosseschaft ... D Eidgenosseschaft, das heisst mir, mir sind ja quasi am 1. August vor 722 Jahr uf em Rütli geboore. Das isch ergriifend und schön. D Politik isch lang nöd immer so schön und scho gar nöd ergriifend.

Oder gaat ine zum Bispil en Burkhalter e so as Herz wie die drei Eidgenosse?

O.k., jetzt werded na einigi fröge, wer isch de Burkhalter?

Die drei Eidgenosse, die kenned all: De Werner Staufacher, de Walter Fürst und de Arnold vo Melchtal das sind öisi Helde ... die drei Manne, wo det uf em Rütli d Eidgenosseschaft gründet händ ...

Guet, es laat sich nöd vo de Hand wyse, die drei Eidgenosse händ`s det, allei uf dere Wise, eifacher ghaa als die Politiker hüt. Wä mer iezt die drei e mal mit dene sibe det z Bern vergliicht ... uf em Rütli händ's chöne säge, lass uns sein ein einig Volk von Brüdern ...ja, das händ die Brüeder det na chöne säge.

Hüt chönd's z Bern obe nüme säge, ein einig Volch von Brüdern ... hüt müend's säge, ein einig Volk von Brüdern und Schwestern, das isch die political correctness wo hüt alles e chlii schwiriger macht ... Die drei Mannen uf em Rütli, die händ höchstens na e Frau dehei am Herd ghaa, aber uf em Rütli händ's chöne mache was händ welle. Öisi drei Helde ... Es git zwar scho au Stimme wo säged, die drei Fraue dehei heged gsait: Höred uf jammere, nemmed s Herz i d Händ. Drum seged genau gsee d Fraue gschuld gsii, dass die drei Manne det uf em Rütli Terroriste worde sind ... Ja das sind Östrichischi Terroriste gsii, will mir doozmal Östricher gsii sind. Drei Östricher händ deten uf em Rütli d Schwyz gründet ...

Me cha hüt nüme mit Bestimmtheit säge, öb d Fraue au e chli mitgmischlet händ, wo mer dänn de Östricher eis uf‘s Dach gä hät. Tatsach isch, dass mir hüt nüt me ... fast nüt me ... gege'd Östricher händ. Im Gegeteil! Wä mer jetzt nur mal an letste Winter zrugg dänkt ... an Schiiweltcup, da wääred mir soo froo gsi, mir wäred Östricher gsii ... wäg de Medaille! Oder wä mer nur wenigstens Slovene gsii wäred ... d Slovene händ ja dozmal au zu Östrich ghört. Und jetzt hät ja die Slovenin de Weltcup i allne drei Diszipline gwunne ... da wääred mir als Östricher au debii gsii. Mir händ dänn letztendlich glich na Schwein gha. Die Slovenin isch mit Schwyzer Schii gfaare. Die Schii händ i dem Fall für öis ... händ für öisi Schwyz Medaille gholt.

O.k., Schi händ natürlich kei sones roots Büechli mit eme wiisse Chrüz ... und was mer da au na iikalkuliere mues, das chunt ja neuerdings na dezue: Wie vil a dene Schii isch würklich Schwyz? Si wüssed was ich meine, es gat um die Swissness. Wievil Swissness mues i some Schii drinn sii, damit‘s rechtlich verhebet, wä mir säged, mir heged de Weltcup gunne ...

Sii, da gits genaui Bestimmige ... Zum Byspil i dem Züüg, wo mir ässed, wo mir täglich uf em Teller händ, da mues en Teil vom Inhalt us de Schwyz stamme, damit mer säge dörf, mir ässed Swissness. Mer hät‘s ja grad vor churzem ghört, es Ross us Rumänie isch e kä Schwyzer Chue. Das isch Swissness. Mer cha‘s au na so erchläre: D Schotte, da die gyyzige Engländer, oder, die händ s Lochness ... und mir händ d Swissness. Im Lochness isch, wie‘s gheist, es Ungghür ... und was i de Swissness isch, das isch au e chlii unghür ...

D Kardinalsfrag isch: Wievil Ness brucht‘s bis es gnueg Ness isch zum Swiss sii? Bispil Nescafe ... Nescafe isch weltwyit s bekanntischte Schwyzer Produkt. Wahrschynlich gheisst‘s sogar Swissness weg em Nescafe... Und da sött jetzt ebe mindestens vierzg Prozent Swiss drinn sii ... Iezt e mal hallo: Wo wachsed bi öis Kafiboone. Also da wür mer ja scho gern wüsse, was für Ness die i de Kafi ie gheied, dass am End vierzg Prozent Swiss drin isch ... oder ganz eifach gfrööged: Was suufed mir da eigentlich? Da gseesch ebe vo wiitem, dass die öis es Ross für e Chue verchaufed ...

Gut, mer händ also scho e mal gsee, um was es sich bi dere Ness handled. Was mir aber immer na unklar isch, warum Swiss... Swissness. Hätt iezt das echt öppis mit öisere Swiss ... hät das öppis mit öisere eidgenössische Fluggsellschaft z tue?

O.k., was heisst denn überhaupt öiseri Swiss ... nei, ich fröge. Wo chönd die Prozent Ness sii, wenn gar kä Swiss me drinn isch?

Jezt hätt doch de Hohmeister, da de Chef vo de Swiss, hät de doch gseit, wenn d Zürcher mit irem Flugplatz nöd spuured, näm er die Swiss und göng mit dene Flüüger uf Östrich. Ok, d‘Sanggaller händ ja immer e chlii Freud ... wenn öpper de Zürcher sait, si söled de Finger usenää... aber also sicher nöd wenn das en Dütsche sait. Also da simmer denn scho na ein einig Volk von Brüedern ... von Brüedern und Schwestern.

Nei aber de dickst Hund isch ja: Gat de mit öisere Swiss uf Östrich ... dänn wäred mir ja würklich ... wäred mir, dank eme Dütsche, nach 722 Jahr wider Östricher... d Swiss oder, da gasch doch na d Wänd uuf, wänn Null Prozent Ness drinn isch ...

Und will öis einig Volch von Brüdern und Schwestern e so Dütschi, wo da z Östrich e Swiss wänd, wo gar kä Ness me drin isch, e fängs völlig konfus mached, gheisst‘s jetzt immer mee, mir seged heimlich scho i de EU.

Und passed si jetzt uf: Drum müe mir e so dankbar si, dass mir de Schneider - Ammann händ. Also ich bin scho fast e chlii stolz, dass ich die gliich Frisuur han wie de! Will ebe de Schneider - Amman, öise Brüeder vo Bern mit sim Brüeder em Ueli und de Schwöster Doris, will die jetzt ständig da uf China gönd ...

,,, und de Ueli, also de Muurer, de hät iezt dene Brüeder det ... ja, das sind alles na richtigi Brüeder, die Chinese, die händ na kä Problem mit irne Schwöstere ... und ebe, die chinesische Brüeder, die finded ebe das mit em Morgarten e so cool ... die Schlacht wo mir d Östricher in See grüert hän... Die Chinese mönd sich eben au ständig gäge fremdi Fözzel, wo sich iimisched, weere ... und da isch jetzt de Ueli go luege, öb mer denen ires Militär chönt bruuche zum s Bankgheimnis gege die Kavalleriste z verteidige ...

Aber de Best chunt erst na! Jetzt wott de Berset, das isch ja au en Bundesratsbrüeder, iezt wott de au na da uf das China. De Berset! Merked sii öppis. De Berset isch en Rote. De wot öisi Schwyz dene Kommuniste go verchaufe ...

Aber wüssed sie, wie das denn lauft? Er sait: 'err Parteivorsitzende, isch verkaufe ihnen die Schweiz für eine Frank, weil isch bin auch Komunist ... en Franke, das isch gliichvil wies für d Swiss gää hät, oder ...

Und wüssed sie, was denn de Parteivorsitzende Xi Jinping sait? De lacht: Hi, hi, hi, Mösiö Belset, wil haben schon die Schweiz gekauft von Mistel Schneidel - Ammann.

Also de Schneider Ammann heg d Schwiz scho dene verchauft. De Murer wür das nie mache ... will, de Murer isch na en echte Eidgenoss. Drum hätt de au gar nöd gmerkt, dass de Schneider - Ammann d Schwyz scho verchauft hätt ... Ja das Gschäft isch gloffe. Gönd si doch e mal go poste ... gliich wo! Stat überall „Made in China“ druf. Wänn s jetzt gheisse wür, ab Morn dörfed mir nur na mit Swissness Chleider ume laufe ... wüssed si was? Dänn wär d Schwyz ab Morn s reinsti Nudisteparadies...

Ich glaube, drum gönd au e so vil Lüüt uf Konstanz go poste. Die sind e so truurig, dass d Schwyz jetzt „Made in China“ isch ... die säged sich, wenn scho „Made in China“, denn chan i das im Dütsche wenigstens billiger ha ... Oder, und drum wott jetzt de Schwab mit öisere Swiss verreise ....

Das isch ebe sonen typische Wirtschaftsflüchtling ... oder, wäg dene Wirtschaftsflüchtling entvölkeret sich d Schwyz langsam immer schneller. Und darum müe mer froo si, dass au nöii ine chömed ...

Also ich denke zum Bispil a d Wölf, wo jetzt i d Schwiz iiwandered ... das isch doch en Säge. Guet, jetzt wird ja scho gjammeret, wenn e sonen Wolf ame Tag 25 Schaf ryst ... Ich chäm au Buchwee über wänn i föifezwänzg Schaaf müest frässe ... a eim Tag ... Aber vergliche mit dene Wirtschaftsflüchtling ... oder, zum Bispil de Vasella, oder, de riist hüt na pro Tag 25 Tuusig ... de riist täglich föifezwänzg Tuusig Franken aa sich ... das isch vil mee als en Wolf cha frässe ...

Guet, es isch nöd aaständig, es Tier mit eme Mensch z vergliiche ... en Mensch hät d Fääigkeit, über sini Gfrääsigkeit naa z denke und es Tier cha das nööd ...

Ich bin nöd ume suscht i die Swissness und das „Made in China“ ine grutscht. Unser täglich Brot isch nun mal das A+O, Swissness hin oder her, mir mönd z Ässe ha wie d Wölf au.

Aber es gat ja hüt, am 1. August, um öis, um d Mensche. Hüt hät nöd de Emmetaler Geburtstag, sondern d Eidgenosseschaft, Das sind mir Mänsche. Bi Chäs chasch vo Swissness rede, nöd bi de Mensche. Wär doch e chlii komisch, so füfzg Prozent Schwyz, oder 40 Prozent, mües drinn si, dass mer Swiss wär ... Wie wür mer das iezt mache? Zum Bispil es Chind vom en Afrikaner und ere Schwyzerin, würsch da iezt säge, mached mer fiffty fiffty, oder mached mer 60/40, und wer wär denn da iezt sächzg und wer wär vierzg ... wär de Maa immer 60, ein einig Volk von Brüdern ... Oder wär d Frau mee wert? Will si de Nachwuchs uf d Welt bringt?

Lueg uf Amerika, de Obama, de isch ja für vill Amerikaner au nöd ganz hundert. Da für die Tea Party isch das sogar een falsche Füfzger. Und dänn ziet e so eine na is Wyys Huus ii ...

Da denkt mer, bi de Amerikaner isch das halt möglich. Das sind ebe kei iigschworni Eidgenosse.

Aber es isch bi öis genau gsee au nöd anderst ... es hät sich bi öis nur vil langsamer entwicklet als bi de Amerikaner.

Bi de Eidgenosse händ det, wien ich aanime, zerst d Fraue drii gfunket. Die Fraue, wo mit em Chopftuech am Herd gstande sind. Wie het‘s suscht zu dene Höchefüür chöne cho. Die Brüder händ müesen i d Chuchi an Herd und säge: Frau, ich mues es Höchefüür mache, ich bruch Füür. Das isch hüt zwar nümen e so. Hüt git‘s au Manne wo am Herd stönd, e Fertigpizza isch kä Sach me. Defür reded hüt d Fraue mit. Spöter sind dänn Tschinnge choo. Brüeder händ gmeint, sie müesed d Schwöstere beschütze, will s gheisse hät, das seged alles Lüstling. Die wo da uf em Bau chrampfed, das seged alles chliini Berlusconis.

Aber d Schwöstere händ sich nöd iispere laa. Iezt hämmer Eidgenosse wo Bortoluzzi, Cozzio, Corazza und so wyter gheissed. Und dänn sind d Italiener plötzlich gar nümme die Böse gsii, will dänn d Itsch choo sind und d Itsch sind iezt au nümmen e so schlimm will iezt die Schwarze chömed.

S git hüt na Lüüt wo meined, mir müesed wyterhin ein einig Volk vo Brüeder sii. Wie die drei Eidgenosse. Aber das gaat nöd. Mer cha Mänsche nöd konserviere, und Konservierigsmittel sind sowieso ungsund.

So isch es bi de Eidgenosse eigentlich e chlii wie bi de d Swissness. De Mist isch gfüerrt! Französisch, Dütsch, Italienisch, Romanisch ... D Schwyz isch es multikulti Land und mir sind au immer wider stolz druf.

Toblerone isch englisch, Elmex chunt vo Pole, Swiss isch Dütsch und was mer produziered gat i alli Welt use.

Vill Lüt händ Angst vor dene Frömde, wo da chömed. Aber wämmer genau ane lueged stellt sich d Fraag:

Chömed die zu öis ... oder chömed mir uf d Welt.

Sind die wo chömed, nur e so öppis wien en Impfig.

Vor eren Impfig, gheisst‘s, heg mer mee Angst als vor de Chranket.

Bis 1291 isch s Volch unterdrückt gsii. D Eindgenosse händ sich das nöd gfalle laa, si händ welle frei sii und mitrede.

Zyt hät sich gänderet. Mir chönd hüt frei, und wer und wie mer sind bliibe, wä mer uf d Welt chömed und det uf Augehöchi mitreded.


Vernissage Otto Forster in Goldach

Vernissage vom Otto Forster ... grüezi mittenand ... ich han d Eer, da es paar Wort z säge ..es git jetzt villicht öppen öpper wo denkt, was, de e Red über Kunst halte? ... wie söll jetzt de so öppis chöne .. ich bin da absolut au dere Meinig ...

Liebe Otto, ich möcht dir säge, wo du mich dozmal gfröged häsch, ob ich a dinere Vernissage öppis wür säge, da bin ich unheimlich stolz gsii ... das isch fast e so gsii, wie wä er mich wür fröge, öb ich am Sunntig i de Chile, vo de Kanzlen abe, e Predigt wür halte ... will es isch doch e so, a Vernisage rede tüend normalerwys Kapazitäte, Kuratore, studierti Kunstwüsseschafterinne, Philosophe, oder mängisch sogar Psychologe ....

Ich bi den dozmal, mit dem Uftrag vo dir hei und dänn han i i mym Chämmerli aagfange z trainiere ... ich han aagfange, vor eme imaginäre Publkum e so wüsseschaftlich über Kunst z rede ...

Also zum Byspil, han i gseit, lueged mir e mal zäme das Bild aa ... es zeigt öis seer tüdlich, wie de Künstler sys inneri Spannigsfeld uf d Lynwand bracht hät ... wänn si da une die subtili, fast cha mer säge Leeri, i dem sich ufbäumende und doch morbide hell - rosarot aalueged, wie das gäge d Mitti uestrebend seer tüdlich substanzialisiert wird, bis es denn det im oberste Bereich ... total überhööht fast useschreit ... Und won ich da so überschwänglich red … so richtig im Element bin i gsii ... da rüft eine us dem imaginäre Publikum: Verzell doch nöd son huere Seich, ich gsee dänk sèlber, dass das e Chue isch ... Da isch mir so wie Schuppe ... abegheit, nei das gaat nöd, han i müese säge, nöd mit mir, ich bin kèn Studierte, Schuster, bleib bei deinem Leisten ...

Und nach öppen ame Jaar, han ich denkt, gottseidank hät de Otto das mit mynere Red vergässe ... aber dänn hät denn das Unheil plötzlich syn Lauf gnaa, wo mir öpper verzellt hät, er heg i de Zytig gläse, das ich bi de Vernissage vom Otto Forster z Goldach e Red halti ...

Nei, kenned si scher au, es gyt doch so Schreckmoment im Lebe, wo mer nüme weiss wie ii und uus ... oder so zwüsched, gaat mir am Arsch verby oder nimm ich mer s Lèbe...

Ich ha ja zuegsait gha .. i sonige Moment chunt eim denn Gott sei Dank öppe "Die geniale Idee" ...

Und bi mir isch es i dem Fall e so gsii ... ich han, also das cha mer säge, ich han en Erlüchtig ghaa!

Und zwar heisst das jetzt konkret, ich erchlär öi da hüt z aabig nöd d Bilder vom Otto, ich erchlär öi de Otto. Was söll ich säge über Bilder, wo all Lüt sèlber gsend was druf isch ... wenn d Bilder abstrakt sind, denn cha mer drüber philosophiere ...

… und jetzt, um mym Resüme über de Otto e chlii vorzgryffe. .. ich ha festgstell, über de Otto cha mer seer guet philosphiere, will, das isch nöd öppis konkrets wien e Chue mit vier Bei und Hörner, das isch öppis seer abstrakts …

Aber ich fang vo vorne aa. Ich ha dènkt, die best Möglichkeit, de Otto z erchlären isch, wenn ich in a Hand vo syne Bilder erchläre.

En entscheidendi Frag isch für mich als ersts gsii, wo chunt de Ma her, was isch das für en Werdegang gsi ... und da bin ich na schnell fündig worde… won ich s erst vo syne Bilder aaluege, bring ich vor Stune s Muul fast nüme zue ... das Bild, genau das Bild han ich nämlich scho mal gsee, innere alte, verfallene Chile z Griecheland ... en über tuusig Jaar alti Freske, e so wunderbar marod und subtil genau wie das Bild da vor mir ... Für mich isch eigentlich sofort klar gsii: De Otto mues det i dere Chile i eim vo syne früenere Lèbe gwürkt ha ...

Es sind mir dänn aber gliich na Zwyfel choo ... die Chillen isch e so tüüf i de Berge versteckt, nur mit eme beschwerliche Marsch z erreiche, und da han i mir müese säge, so wyt wär de Willi nie gloffe und de Otto lauft sicher nie wyter als de Willi …

Mer chan jetzt da iiwände, das isch e chli e tüni Gschicht, aber mer mues ebe wüsse, de Willi spillt e ganz entscheidendi Rolle bim und im Otto sym Schaffe, ... mer gseet das zum Bispil, det wo de Willi de Mond aabetet … mer chan so wyt ga und säge, de Willi isch es Medium vom Otto … er isch i de Familie eigentlich glychberechtigt … also dass er en Hund isch merkt mer eigentlich fast nur dra, dass er vier Bei hät … Und wä mer jetzt e mal anegaat, ubd das Bild mit dem erschöpfte Hund uf em Bänkli aaluget, wo de sich e so liebevoll a syni Herrin schmiegt, dänn hät mer s Gfüül, es wär em Otto au gliich, wenn er de Hund wär …

Ich bin ja, zur Visionierig vo de Bilder am ene Abig zu Forsters hei ... und won ich so uf das Märlihuus am Stadtrand zuegloffe bin, hett ich gwetted ... jetzt chunt dänn grad de Otto zur Tür uus, mit ere schwarze Chatz uf de Schultere ... ... ja, Hexe sind au nümme was früener e mal gsyy sind ... die trybed ires Uunwese mägisch sogar als Manne .. Ich bin also det ane, wie's abgmacht gsii isch, zum die Bilder aaluege, aber ich ha, eerlich gsait, hauptsächlich heimlich ume glueged umd vor allem zum Fenster us … ja, es hät mi wunder gna, ob ècht det ussen ufere Tanne villicht sogar na en Üle hockt. Aber was ich sicher gsee han ... zum Fenster uus, e Chatz uf em Sims, und hinterem Haag, Chüe wo grased, und überem Wald isch de Mond uufgange ... und dine, hinter em Ofe, de Willi i sym Chörbli ... da han ich dänn scho en Moment dènkt, ja, da, i dem Huus, chönt ich au Maler sy, de mues da ja nur abmaale ... Mir isch denn grad e Sceene mit em Otto in Sinn cho ... mir sind e paar zämeghockt und er hät gsait: Jesses nei, ich ha demnächt en Uusstellig, ich ha kei Aanig was i söll male ... er isch richtig entsetzt gsii, me hät fast de Angstschweiss uf synere Stirne gsee ..

Mir händ richtig e chlii Verbarme gha mitem, aber dänn isch schwups de Termin cho und de Otto hät en Cingue Cento voll Bilder bracht... Einigi denked da jetzt villicht, logisch, wä mer mues, dänn chunt d Intuition … und da seg denn am Otto sys Unterbewusstsy am Werk ...

Aber da mues ich jetzt scho säge, um Gott's Wille ... ich ha mir e so Müe gee, mir es Bild vom Otto z mache, und wür da behaupte, wenn de Otto sys Unterbewusstsy wür male ... würded die naamhaftiste Psychoanalytiker vor Entsetze devolaufe …

Es gat da mit ganz andere, seer gheime Dinge zue …

... ich nimm da, zum erchläre, en Begriff us de Musig z hilf ... i de Musig git's das sogenannti absoluti Musigghör ... und in Bezug uf de Otto wür ich hüt säge, waarschynlich git's au e so öppis wie s absoluti Aug ... und jetzt, mues mer sich vorstelle, stönd da so 10 Töpf voll Farb, oder wievil au immer, und de Otto stupft mit em Pinsel i sonen Topf, fast wie waallos, aber es isch immer de richtig ….

Und da wett ich jetzt folgendi These ufstelle ... ir all, won öi da jetzt son es Bild gfallt, wonner villicht scho reserviert händ, oder au die, wo grad iren Favorit gseend ... und nachane eis gönd go uussueche ... iir händ eigentlich gar kè Waal ...

Es lauft e so .. wenn's denn s Schicksal, oder de Tüfel oder wer au immer will, gaat de Otto as Werk, wie wenn er's na nie gmacht het ... staat da i de Garage, sprich, i sym Atelier, zündet sich e Zigeretten aa ... hät kèn blaue Dunst, was er da eigentlich söll ... und dänn gseet er i sym absoluten Aug ...gseet er dich, oder mich oder sie ... und dänn fangt's aa male ... dänn entstat dis Bild ... Quintessence: Jedes Bild wo de Otto macht, isch genau für de wo's gern het.. Das heisst : De Otto kreiert jedes Werk für de wo's gern wür haa. ...

Lueged e mal das Bild „Bauer sucht …“ an. Òbben eine wird jetzt da denke, ich bin zwar kèn Buur aber ich wär au froh, wenn i eini wür finde, wo so folgsam isch wien es Schöfli.

Jetzt chönt mer denke, de Otto manipulieri i üsne Psychen ume, wien en Hacker im e Computer. Aber da chan ich entwarnig gee. De Otto hät kei Aanig, für welle Mensch genau das Bild isch, won er da jetzt grad macht ... da würked na vil höcheri Chräft mit … er weiss nur, das es für en bestimmte Mensch isch … Also ich stell abschlüssend churz und bündig fest, mer cha's eigentlich nur e so säge: De Otto malt für Mensche ....



Inauguration Barbara Frei. Parlamentspräsidentin. Lokremise

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Aus aktuellem Anlass das „Special“ zur Inauguration von Barbara Frei - Grimm, Parlamentspräsidentin 2019.

Gemäss den Ausführungen von Gallus Hufenus, Vorgänger im Amt, ist der Job als Parlamentspräsidentin eine Mischung aus Erziehungsperson und Blumenstrauss. Ersteres erfüllt Barbara Frei erfolgreich als Mutter zweier Söhne. In der Rolle als Blumenstrauss dürfte sie sich zurechtfinden, wenn ihr zugestanden wird, dass auch die schönste Rose Dornen haben kann.

Höchste St.Gallerin, höchster St. Galler zu sein, ist eine komplexe Angelegenheit. Weil die jeweiligen Amtsinhaber ihre persönliche Meinung ein Jahr lang nicht einbringen dürfen, sehen sie sich genötigt, diese Bestimmung in kreativer Weise zu umgehen.

Gallus Hufenus hat sich, wie es heisst, ein Paar Schuhe gekauft, um damit notfalls, wie einst der Sowjetische Diktator Chruschtschow, auf den Tisch zu hauen.

Franziska Ryser wiederum hatte sich als Präsidentin bei einem Fussballspiel der Parlamentsmannschaft gegen Mulhous derart raffiniert eingebracht, dass der gegnerische Goali, in Person des dortigen Stadtpräsidenten, bewusstlos vom Platz getragen werden musste. Über dessen Parteizugehörigkeit wurde nichts bekannt.

Dass im letzten Jahr eine Parlamentssitzung, trotz des angesagten EM Spiels gegen Schweden, nicht verschoben wurde, sei nicht der schlechten Erfahrung mit dem Fussball, sondern der Protestantischen Zucht und Ordnung in der Vadianstadt geschuldet gewesen. Dementsprechend war schon im Jahre 1719 das Baden in den Weiern während der Predigt verboten. Barbara Frei dürfte der protestantischen Tugendhaftigkeit gerecht werden. Diverse Parlamentsmitglieder hatten zwar angenommen, sie sei katholisch, weil sie, vornehmlich bei linksgerichteten Mehrheitsbeschlüssen, unverständliches Zeug murmelt. Es handle sich jedoch nicht um Rosenkranz - Gebete, sondern um mehr oder weniger giftige Verwünschungen. Dass ihr Hufenus jeweils ein Gegengift verabreicht habe, sei nicht belegt. Wenn ja, habe es sich wahrscheinlich um Kaffee gehandelt. Nichts desto trotz schwebt die Frage im Raum, wie Barbara Frei das Jahr als Vizepräsidentin an der Seite eines Sozialisten ohne bleibende Schäden überstanden hat. Eine politische Annäherung wie bei Keller-Sutter und Rechsteiner konnte nicht stattfinden, weil die beiden kaum einmal zusammen Zug gefahren sind. Alles deutet darauf hin, dass die rote Fahne für Barbara Frei weiterhin ein rotes Tuch bleiben wird, obwohl ihr Grossvater vor hundert Jahren als glühender Sozialist am Landesstreik beteiligt war.

Der Rückblick auf die vergangene Legislaturperiode zeigt, auch die Künste eines Baristas konnten nicht verhindern, dass im Parlament hie und da kalter Kaffee serviert wurde. Bei der projektierten Verkersdosierung Liebegg könne jedenfalls nicht von einem Espresso gesprochen werden. Parteiübergreifend hiess es, der Stadtrat müsse wachgerüttelt werden. Was zum Einwand führte, um in St.Gallen jemanden wach zu rütteln, müsse man mindestens vier Kilometer in die Tiefe bohren. Nicht beglaubigten Berichten zufolge, sei eingebracht worden, die Luftverschmutzung, könnte reduziert werden, wenn von der Lustmühle bis zur Kreuzbleiche, in geeigneten Abständen, Abfallkübel aufgestellt würden. Leider habe der Vorschlag bei den Bürgerlichen kein Gehör gefunden, weil Abfallkübel zu den Kernthemen der Grünen gehören.

Eher Erfolg versprechend regte Barbara Frei in einer kleinen Anfrage an, mit einer restriktiven Handhabe von Wohnbeihilfen könnte eine Reduzierung des Stichoxydausstosses erreicht werden, weil sich Sozialhilfeempfänger keine offroad - Fahrzeuge mehr leisten könnten. Der Vorschlag um Appenzell herum eine Mauer zu bauen, sei obsolet, weil die Appenzeller das Hindernis umgehend mit Drohnen überwinden würden. Auf Grund dieser Zukunfts - Perspektive sei das Dosierungssystem Liebegg in Kürze nicht mehr erforderlich.

Virtuose Fähikeit der Gesprächsleitung forderte von Gallus Hufenus die Motion von Etrit Hasler bezüglich der Vergabe des Kunstpreises, wo ein Zurückziehen, beziehungsweise allenfalls eine Neuformulierung, von Nöten gewesen wäre, weil sich, auf Grund der Stellungnahme des Stadtrates zur Erheblichkeit, herausgestellt hatte, dass sie nicht in die Zuständigkeit des Parlaments falle, wobei die vorberatende Kommision den Fehler allenfalls hätte ausmerzen können, was jedoch einer Klärung des Verwaltungsgerichtes bedurft hätte, besser aber eine Neueingabe sein werde, was dazu führte, dass das Geschäft letztlich nicht mehr zu einem fruchtbaren Ende geführt werden konnte, weil nach der letzten Traktandierung niemand mehr wusste, um was es sich bei der Motion gehandelt hatte.

Der Barista spricht in so einem Fall nicht von einem Ristretto, sondern von einem Verlängerten.

Bei solch virtuoser Handhabe von komplexen Geschäften scheint Barbara Frei mit ihrer Dossiersicherheit eher etwas altbacken.

Junge aller Couleur, punkten vermehrt mit einfachen Themen, wenn sie zum Beispiel mehr Bäume für die Stadt fordern. Alte Füchse halten diesbezüglich entgegen, wenn es mehr Bäume gibt, gebe es auch mehr Hunde, welche diese anseichen.

Das Anseichen ist seit jeher ein Mittel, um die Weltanschauung der Gegenseite in Frage zu stellen.

Wie weit die Weltanschauungen auseinander klaffen, hatte sich im Kantonsrat gezeigt, als Regierungsrat Klöti das christliche Familienbild Bild, mit Esel und Ochse an der Krippe, in Frage gestellt hatte. Obwohl auch Maria als Mutter nicht über alle Zweifel erhaben ist, blies Kantonsrat Güntzel zur Attacke.

Dass Güntzel ein weinig hinter dem Mond ist, kann inzwischen nicht mehr als Entschuldigung geltend gemacht werden, weil die Chinesen das gemeldet hätten.

Anhand Rene Bortoluzzis neuster These zur Intelligenzbildung muss folglich der Schluss gezogen werden, dass Güntzel als Kleinkind in der Kita war.

Diskrepanz zeigt sich auch beim Thema Vaterschaftsurlaub. Einer nicht repräsentativen Umfrage zufolge, lauteten die meisten Antworten auf die Frage, was die Männer in dieser freien Zeit machen würden: Autowaschen, Jassen und Biertrinken.

Vom Wassertrinken wird den Männern abgeraten, weil der Östrogengehalt im Bodenseewasser dazu führen könnte, dass sie in absehbarer Zeit die Babys auch stillen müssen.

Möglicherweise wäre das Leben weniger beschwerlich, wenn statt des Östrogens die Kokainrückstände der Stadt in’s Bodenseewasser gelangen würden.

Allerdings mache die Beimischung von Entwurmungsmittel im Kokain der Justiz zu schaffen. Ertappte Drogensüchtige machen vermehrt geltend, sie hätten sich nicht eine Linie herein, sondern die Würmer aus der Nase gezogen.

Das Herzinfarktrisiko ist im Kanton markant gesunken, seit niemand mehr Gefahr läuft, beim Anblick einer Burka tot umzufallen. Trotz allem explodiern die Krankenkassen Prämien, weil immer mehr Patienten Spezialisten aufsuchen.

Dass ein Patient mit Hämorhoiden zum Augenarzt geht, sei zwar verkraftbar. Problematisch wird es, wenn er dem Augenarzt mitteilt, er könne nicht sehen, ob er Hemorhoiden habe und der Arzt folglich den grauen Star opperiert.

Barbara Frei ortet die Wurzel des städtischen Finanzübels beim sogenannten Substrat, bei welchem es sich, ihrer analytischen Dialektik entsprechend, um Geld handelt, während hingegen der Durchschnittsmensch mit mehr oder weniger grünem Daumen, beim Substrat, je nach Pflanzenart, an einen Lehm- oder durchlässigen Boden, allenfalls gedüngt mit Pferde- oder sonstigem Mist denkt.

Dass es, trotz dieser ideologischen Unterschiede, zu einer Absenkung des Steuerfusses kam, dürfte daran gelegen haben, dass die Substanzen ähnliche Eigenschaften aufweisen. Sowohl Pferdemist, als auch Geld kann stinken.

Mit Missmut registriert wurde die Ankündigung, das Palas mit der Streichung von Zuwendungen zu ärgern. Aus dem Rathaus verlautete umgehend, als man Theater hörte, habe man gedacht, es handle sich um das Parlament. Die Steuerfuss- und sonstige Handhabung der Finanzen kann folglich mit der Prognose abgeschlossen werden: Scheitlin wird in Kürze die fünfzig Franken zurückholen. Die Ankündigung von Barbara Frei, in ihrer Präsidentschaft vermehrt um Konsens bemüht zu sein, deutet nicht zuletzt darauf hin, dass sie im vergangenen Jahr gelernt hat, im Kaffeesatz zu lesen. Mit dieser, in der Politik gängigen Methode, wurde auch bei der bundesrätlichen Departementsverteilung herausgefunden, wer wo die erste Geige spielt. Bezüglich Frau Amherd heisst es beispielsweise, sie spiele im Militärdepartement die Viola. Cassis haut auf die Pauke, als ob es seine eigene Partei wäre. Angesichts dieser Tatsache konnte Karin Keller Sutter nur noch singen, „ich hat einen Kameraden“. Bei Parmelin kann noch nicht gesagt werden, ob er Flötist oder Posaunist ist. Ziemlich sicher sei er aber eine Pfeife.

Die SP hatte bei dem Konzert einmal mehr den Vorteil, dass niemand mehr weiss, auf was für einer Klaviatur sie überhaupt spielt. Alain Berset hatte sich vor kurzem noch für Versicherungsspione eingesetzt, weil er meinte, Sozialhilfeempfängerinnen würden sich freuen, wenn sie auch wieder einmal einen Mann im Schlafzimmer haben.

Ansonsten ist man in Bundesbern weiterhin gewillt, Partei übergreifend aus dem Rahmen zu fallen.

Bei dem sogenannten Rahmenabkommen handelt es sich, bei genauem Betrachten, um eine billige Kopie von Branskys Kunstaktion, wo der Rahmen dazu diente, das Werk zu zerstören Bei den Bundesratswahlen wieder einmal zur Gretchenfrage erhoben wurde die Quotenfrage. Befürworterinnen sind der Meinung, ohne Regelung werde es den Frauen weiterhin so ergehen wie den hornlosen Kühen.

Im Gegensatz dazu haben die Männer die Möglichkeit, ihre Potenz anhand bestimmter Autotypen manifestieren zu können.

Von Seiten der Bundesratskandidatinnen hiess es, wie Michelle Obama auf dem Buchumschlag die nackte Schulter zu zeigen, sei für sie keine Option.

Zur Frage, ob sie eventuell zu wenig verdiene, um sich eine gute Faltencrème zu kaufen, meinte Keller - Sutter, sie beantworte keine Fragen zu ihrer finanziellen Situation.

Dass die Frauenfrage mit Regelmässigkeit zum Thema wird, zeigt auch ein Interviews mit Alt - Bundesrat Moritz Leuenberger aus dem Jahre 2010.

Hören sie das Statement im Originalton: Es ist ja wieder einmal sehr … sehr bezeichnend … bezeichnend, wenn mir jetzt … mir … mir … sogar von bestimmten Frauen .. Frauen … vorgeworfen wird, ich sei gegen mehr Frauen im Bundesrat … Bundesrat … ich habe, habe … und überigens die Sozialdemokratie … kratie überhaupt, hat sich immer für die … die Gleichberechtigung eingesetzt … gesetze … auch … auch wenn es ja durchaus, durchaus … mit den Frauen ….Frauen, zu einer … einer gewissen … gewissen Unberechenbarkeit … keit führen kann … kann …wenn man jetzt einmal … sogar davon ausgehen … ausgehen muss … muss, dass jetzt womöglich … vielleicht schon … schon … schon fünf Frauen im Bundesrat vertreten sein.. sein ... könnten … es wird ja durchaus … durchaus immer wieder bescheinigt, die Frauen seien besonders … ä … kompetent ... kompetent, wobei ... wobei ... bei soviel … soviel Frauen im Bundesrat eben … eben doch auch einmal die Frage gestellt werden müsste ... müsste, ob die Schweiz überhaupt … überhapt so viel Intelligenz vertragen würde … würde … Um Entscheidungsfragen adäquat angehen zu können, greift man in St. Gallen vermehrt auf sogenannte Foren zurück. Foren sind vergleichsweise Konzerte, in welchen die Musiker gleichzeitig, Mozart, Bach und Bethoven spielen.

Angesichts des Jubiläums „100 Jahre Gross St. Gallen“, bei welchem wieder einmal über das Wachsen der Stadt geredet wurde, hiess es, es könnte sich eine „ win win“ Situation ergeben, wenn zum Beispiel Wittenbach eingemeindet, und im Gegenzug der Marktplatz dorthin verlegt würde.

Barbara Frei wird sich in Zukunft mit neuen politischen Konstellation herumschlagen müssen. Ihr Vize dürfte sie dabei nicht allzu sehr fordern, weil in St. Gallen bereits alle Schulkinder biologisch verköstigt werden.

Ohne Aussicht auf ideologische Kämpfe mit dem Vizepräsidenten und mit dem Handicap, die eigene Meinung im Plenum nicht einbringen zu dürfen, empfiehlt es sich der neuen Parlamentspräsidentin, mit Bundespräsient Maurer ans WEF nach Davos zu fahren. Donald Trump wird zwar nicht da sein, aber auch bei Brasiliens Bolsonaro könnte sie die neue Art des Regierens studieren.

Sollte dies nicht möglich sein, biete ich Barbara Frei gerne an, jederzeit bei mir den Umgang mit fake news zu erlernen.

Danke für ihre Aufmerksamkeit.


La vie en rose

Eine tragische Komödie von Urs Welter

La vie en rose